24. Juni 2016

WIR SIND DER VERFASSUNGSSCHUTZ!

Neu­lich hat mir ein Jour­na­list – einer, von dem man das nicht erwar­ten wür­de -, gesagt, die AfD in Sach­sen-Anhalt habe den Par­la­ments­be­trieb belebt und der Demo­kra­tie gut getan. Die Debat­ten in den Mona­ten vor der Wahl sei­en doch recht ein­schlä­fern­de Pflicht­übun­gen gewe­sen, nun aber wer­de rich­tig debat­tiert. Das müs­se man anerkennen.

So lang­sam däm­mert bei dem einen und ande­ren von denen, die wir viel­leicht etwas zu pau­schal unter dem Eti­kett Lügen­pres­se“ sub­su­mie­ren, die Erkennt­nis, daß die AfD doch nicht die Wie­der­gän­ge­rin der NSDAP ist und kei­ne Gefähr­dung für die Demo­kra­tie, son­dern – im Gegen­teil – die Schock­the­ra­pie, die unse­re Demo­kra­tie braucht, um nicht den Käl­te­tod zu sterben.

Ange­sichts sol­cher Signa­le mit­ten aus dem Main­stream, die sich in letz­ter Zeit häu­fen, ist es mir unver­ständ­lich, wie gera­de in die­sen Tagen eine aber­wit­zi­ge Debat­te aus­bre­chen konn­te, in der es um nichts ande­res ging als dar­um, daß wir in Gefahr stün­den, vom Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­tet zu wer­den, und uns dage­gen wapp­nen soll­ten, indem wir uns pro­phy­lak­tisch von allem mög­li­chen distanzieren.

Das Gan­ze erin­nert in all sei­ner Irra­tio­na­li­tät an urre­li­giö­sen Abwehr­zau­ber, wie er in vor­mo­der­nen Stam­mes­ge­sell­schaft üblich ist. Wir hän­gen uns wie Amu­let­te Distan­zie­rungs­er­klä­rung nach Distan­zie­rungs­er­klä­rung um den Hals und glau­ben, so den bösen Blick des Ver­fas­sungs­schut­zes abzu­weh­ren: Erst Pegi­da, jetzt die Iden­ti­tä­re Bewe­gung. Mor­gen viel­leicht die Deut­sche Burschenschaft.

Über­all wird der Extre­mist gewit­tert. Ganz kon­form mit dem unter eta­blier­ten Par­tei­en übli­chen Dop­pel­stan­dard geht es dabei natür­lich nur um Rechts­extre­mis­mus, nie um Links­extre­mis­mus. „Extre­mis­mus“ heult die poli­ti­sche Meu­te und ver­gißt dabei, was „Extre­mis­mus“ über­haupt bedeutet.

Der Begriff ist recht­lich klar defi­niert als eine gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung gerich­te­te Ein­stel­lung. Was die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung umfaßt, legt § 4, Abs. 2 des Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­ge­set­zes fest. Der Absatz sei in exten­so zitiert:

(2) Zur frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung im Sin­ne die­ses Geset­zes zählen:
a)das Recht des Vol­kes, die Staats­ge­walt in Wah­len und Abstim­mun­gen und durch beson­de­re Orga­ne der Gesetz­ge­bung, der voll­zie­hen­den Gewalt und der Recht­spre­chung aus­zu­üben und die Volks­ver­tre­tung in all­ge­mei­ner, unmit­tel­ba­rer, frei­er, glei­cher und gehei­mer Wahl zu wählen,
b)die Bin­dung der Gesetz­ge­bung an die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung und die Bin­dung der voll­zie­hen­den Gewalt und der Recht­spre­chung an Gesetz und Recht,
c)das Recht auf Bil­dung und Aus­übung einer par­la­men­ta­ri­schen Opposition,
d)die Ablös­bar­keit der Regie­rung und ihre Ver­ant­wort­lich­keit gegen­über der Volksvertretung,
e)die Unab­hän­gig­keit der Gerichte,
f)der Aus­schluß jeder Gewalt- und Will­kür­herr­schaft und
g)die im Grund­ge­setz kon­kre­ti­sier­ten Menschenrechte.

Jetzt atmen wir ein­mal durch und fra­gen uns in aller Ruhe: Will viel­leicht jemand von uns das „Recht auf Bil­dung und Aus­übung einer par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on“ ein­schrän­ken? Gelüs­tet es uns danach, die „Unab­hän­gig­keit der Gerich­te“ auf­zu­he­ben? Lieb­äu­geln wir mit einer „Gewalt- und Will­kür­herr­schaft“? Ich bin nun mehr als drei Jah­re in der AfD aktiv und mir ist noch nie­mand begeg­net, der auch nur einen Aspekt der frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ange­zwei­felt hätte.

Auch Abschnitt g) ist kei­ne Aus­nah­me, denn, „Reli­gi­ons­frei­heit ist kein Super­grund­recht“ (Höcke) und „Migra­ti­on ist kein Men­schen­recht“ (Meu­then). Wir kön­nen for­dern, den Islam­ver­bän­den Ein­halt zu gebie­ten und ille­ga­le Ein­wan­de­rer rigo­ros aus­zu­wei­sen, ohne daß wir mit der Grund­ord­nung unse­res Staa­tes in Kon­flikt gera­ten. Im Gegen­teil: Wenn man sich § 4, Abs. 2 des Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­ge­set­zes durch­liest und an die Ver­hält­nis­se denkt, die heu­te in unse­rem Land herr­schen, gewinnt man eher den Ein­druck, daß wir mit unse­ren For­de­run­gen mehr als ande­re die­se Grund­ord­nung respek­tie­ren. Unser Gewis­sen ist rein. Wir müs­sen kei­ne Angst haben, vom Ver­fas­sungs­schutz über­wacht zu wer­den. Glei­ches gilt im übri­gen auch für Pegi­da und alle IB-Grup­pen, die mir per­sön­lich bekannt sind.

Wenn wir aber kei­ne Angst haben müs­sen, zu Recht beob­ach­tet zu wer­den, dann wäre da nur noch die Angst, daß wir zu Unrecht beob­ach­tet wer­den. Die­se Angst aber ist nicht begrün­det, damit nicht legi­tim und also mit einem ande­ren Wort: Feig­heit. Wür­den wir zu Unrecht beob­ach­tet, wäre es unse­re Pflicht, nicht zu kuschen, son­dern uns gegen die­se Anfein­dung der Demo­kra­tie zu ver­tei­di­gen. Erst dann wären wir ech­te Demo­kra­ten und nicht nur Schönwetterdemokraten.

Wol­len wir ech­te Demo­kra­tien sein, müs­sen wir die Demo­kra­tie zur Not auch gegen einen Ver­fas­sungs­schutz ver­tei­di­gen, der sei­ne Gren­zen über­schrei­tet. Er ist letzt­lich eine Regie­rungs­be­hör­de, und groß ist die Ver­su­chung, in der Beob­ach­tungs­pra­xis die Fort­set­zung der Par­tei­po­li­tik mit ande­ren Mit­teln zu sehen. Wie das Bei­spiel der Repu­bli­ka­ner zeigt, die sich wäh­rend der 90er Jah­re vor Gericht erfolg­reich gegen die Erwäh­nung in den Ver­fas­sung­schutz­be­rich­ten von Rhein­land-Pfalz und Ber­lin gewehrt hat­ten, kommt es tat­säch­lich vor, daß der Ver­fas­sungs­schutz sich ver­greift und dann von Gerich­ten in sei­ne Schran­ken gewie­sen wer­den muß. Ein wei­te­res Bei­spiel ist die Jun­ge Frei­heit, die sich 2007 in einem Auf­se­hen erre­gen­den Pro­zeß aus dem Ver­fas­sungs­schutz­be­richt her­aus­ge­klagt hat. In ähn­li­cher Wei­se hat sich auch das Zuerst-Mag­zin aus den Berich­ten her­aus­ge­klagt, und damit sind die Bei­spie­le kei­nes­falls erschöpft.

Das heißt nicht, daß wir die Hin­wei­se des Ver­fas­sungs­schut­zes igno­rie­ren soll­ten. Wir brau­chen aber einen kri­ti­schen Blick auf die Akteu­re. Wir müs­sen die Urtei­le des Ver­fas­sungs­schut­zes prü­fen, uns mit ihnen aus­ein­an­der­set­zen und uns dann ein eige­nes Urteil erlau­ben. Eine mün­di­ge, auf­ge­klär­te Distanz ist gefragt, kei­ne Extre­mis­mus-Panik, in der alle ver­ges­sen, was hier ver­han­delt wird und wor­auf es eigent­lich ankommt.

Wenn wir die Urtei­le des Ver­fas­sungs­schut­zes kri­tik­los hin­neh­men, akzep­tie­ren wir sie als auto­ri­tä­re Macht­er­wei­sun­gen. Das kön­nen wir tun, wir soll­ten uns dann aber bit­te nicht mehr „Demo­kra­ten“ nen­nen und uns nicht mehr auf jene Ord­nung beru­fen, die sich die Frei­heit­li­che nennt. Ein sol­ches Ver­hal­ten ist das genaue Gegen­teil von Frei­heit­lich­keit; es knüpft an die schlech­tes­ten Tra­di­tio­nen des Obrig­keits­staa­tes an.

Wenn dann auch noch die miß­bräuch­li­che Beob­ach­tung oder Beob­ach­tungs­an­droh­nung inner­halb unse­rer Par­tei miß­braucht wird, um Mit­strei­ter, die als Kon­kur­ren­ten emp­fun­den wer­den, zu scha­den, dann sind wir kei­ne Ver­tei­di­ger, son­dern in einem dop­pel­ten Sinn die Toten­grä­ber der Demo­kra­tie: Wer so han­delt, erstickt nicht nur die Demo­kra­tie außer­halb, son­dern auch inner­halb unse­rer Par­tei. Wir haben das nicht nötig. Wir sind gefes­tig­te Demo­kra­ten genug, daß wir uns durch Andro­hun­gen von Minis­te­ri­al­be­hör­den nicht ein­schüch­tern las­sen müs­sen. Wir selbst schüt­zen die Ver­fas­sung. Das auch und gera­de – Stich­wort grund­ge­setz­wid­ri­ge Völ­ker­wan­de­rung nach Deutsch­land – gegen­über den Ver­fas­sungs­bre­chern der Alt­par­tei­en. Wir, die AfD, sind die deut­sche Grundgesetzpartei.

Hans-Tho­mas Tillschneider