HUMBOLDTSCHE HOCHSCHULBILDUNG STATT BOLOGNA-BÜROKRATIE UND INTERNATIONALISIERUNGSWAHN
24.11.16
8. Sitzungsperiode des Landtags von Sachsen-Anhalt
Einbrindungsrede zum Antrag der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt “Bologna rückabwickeln – Deutsche Universität stärken”. Der Antrag forderte die Regierung auf, binnen vier Monaten ein Ausstiegsszenario aus dem Bologna-Prozeß vorzulegen. Wurde natürlich abgelehnt.
HUMBOLDTSCHE HOCHSCHULBILDUNG STATT BOLOGNA-BÜROKRATIE UND INTERNATIONALISIERUNGSWAHN
“Auf Antrag der AfD-Fraktion soll die Landesregierung aufgefordert werden, binnen vier Monaten einen Plan für den Ausstieg Sachsen-Anhalts aus dem Bologna-Prozess vorzulegen. Die AfD möchte unter anderem die flächendeckende Wiedereinführung des Studiengangs Magister Artium an den Universitäten Halle und Magdeburg sowie der Studiengänge Diplom und Staatsexamen in allen Hochschulfächern, in denen sie im Zuge des Bologna-Prozesses abgeschafft wurden, erreichen.” [Landtag von Sachsen-Anhalt]
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Transkript
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gab einmal eine Zeit, da war eine Reform die Antwort auf einen Missstand. Reformen wurden von unten gefordert und dann von oben umgesetzt. Die Reform musste nachvollziehbar begründet werden, und nach der Reform waren die Verhältnisse in aller Regel besser als vorher. Diese guten alten Zeiten, in denen der politische Diskurs noch von so etwas wie Vernunft regiert wurde, sind wahrscheinlich schon seit der Rechtschreibreform, spätestens aber seit der sogenannten Bologna-Reform vorbei.
(Beifall bei der AfD)
Es gibt keinen einzigen konkreten Missstand, der durch diese Reform, also die Einführung neuartiger BA- und MA-Studiengänge, gelöst worden wäre. Im Gegenteil. Bologna hat tatsächliche Probleme ignoriert, hat dafür Probleme gesehen, wo keine waren, und damit Probleme geschaffen, die es bis dahin nicht gab – ein Kunststück an sinnloser Verkomplizierung eines im Großen und Ganzen funktionierenden Systems.
Bezeichnenderweise hat niemand außer Politikern der Altparteien und einem kleinen Haufen karrierebewusster Wissenschaftsfunktionäre diese Reform gefordert. Professoren und Studenten waren zu Recht skeptisch. Nachvollziehbare Begründungen wurden nicht geliefert, und der Schaden, der durch diese Reform angerichtet wurde, ist nicht abzuschätzen.
Ironischerweise wurde ungefähr zeitgleich zum Beginn des Bologna-Prozesses in den USA eine Reform des dortigen Ingenieurstudiums diskutiert. Dabei wurde der deutsche Diplomingenieur als Vorbild betrachtet, von dem es zu lernen gelte. Während wir also gerade dabei waren, unser Diplom abzuschaffen, machte man sich in den USA Gedanken, wie es sich auf US-amerikanische Verhältnisse übertragen ließe. Das ist die Bildungspolitik der Altparteien.
(Beifall bei der AfD)
Was den Magister angeht, so waren Studenten aus dem Ausland regelmäßig von der Normenfreiheit des Studiums hierzulande begeistert, eine Freiheit, die einem Bildungsprozess Raum gab, der auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen hatte. Wie jede Freiheit wurde auch diese Freiheit gelegentlich missbraucht. Das wissen wir. Doch wenn man nur gewollt hätte, hätte es Mittel und Wege gegeben, dem Missbrauch zu wehren, ohne die Freiheit des Magisterstudiums zu vernichten. Aber man wollte nicht. Vermutlich wollte man in Wahrheit sogar genau diese Freiheit vernichten.
Offiziell sollte Bologna die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse verbessern und die Mobilität im Studium erhöhen. Nur gab es da nicht wirklich etwas zu erhöhen. Ich selbst zum Beispiel habe noch auf Magister studiert – Islamwissenschaft, Germanistik und Philosophie. Ich konnte diese drei Fächer völlig problemlos mit einem minimalen bürokratischen Aufwand in Freiburg, Damaskus, Leipzig und Halle studieren. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich aber auch in Kiel, Kairo und München studieren können, auch Islamwissenschaft und Politikwissenschaft, eine damals sehr beliebte Kombination, oder Islamwissenschaft und Geschichte oder etwas ganz anderes.
Was gab es da an Mobilität noch zu erhöhen? – Die Vergleichbarkeit der Abschlüsse ist doch wohl dann am ehesten gewährleistet, wenn die Abschlüsse international angesehen sind. Genau das waren Diplom und Magister in hohem Maße.
(Beifall bei der AfD)
Die im Zuge des Bologna-Prozesses eingeleiteten Maßnahmen dagegen haben sowohl die Mobilität im Studium als auch das internationale Ansehen der deutschen Studiengänge nicht nur nicht verbessert, sondern erheblich verschlechtert. Während vor Bologna im Rahmen des Magisterstudiums unzählige Studienkombinationen möglich waren, die sich jeder Student selbst zusammenstellen konnte, ist man heute auf einen genau definierten Studiengang angewiesen, der sich oft kaum noch einem ordentlichen Fach zuordnen lässt.
An der Universität Magdeburg gibt es tatsächlich einen BA-Studiengang, der heißt: „Kulturwissenschaft, Wissensmanagement, Logistik: Cultural Engineering“. Die hohe Gestaltungsfreiheit aus Magisterzeiten ist passé, und die Studenten sehen sich auf Angebote verwiesen, die ihnen zeitgeisthörige Wissenschaftsfunktionäre geschnürt haben. Allenfalls eine Schwerpunktwahl innerhalb vorgestanzter Studienverläufe ist noch möglich. Ein deutliches Minus an Mobilität.
Hinzu kommt, dass die neuen Studiengänge über sogenannte Alleinstellungsmerkmale verfügen sollen. Wenn es aber einen Studiengang nur an einer Universität gibt, kann ein Student sein Studium schlecht an einer anderen Universität fortsetzen.
(Beifall bei der AfD)
Früher konnte man an der Universität Bayreuth und an der Universität Magdeburg Philosophie studieren. Heute studiert man in Bayreuth Philosophy & Economics und in Magdeburg etwas, das nennt sich Philosophie, Neurowissenschaften, Kognition. Wer Philosophy & Economics in Bayreuth angefangen hat, kann nicht Philosophie, Neurowissenschaften, Kognition in Magdeburg zu Ende studieren. Die Studenten sind vom ersten bis zum letzten Semester an einen Studiengang und eine Universität gebunden. Zweites Minus an Mobilität.
Kernstück von Bologna war die sogenannte Modularisierung. Das klingt schon nach der technokratischen Missgeburt, die sich dahinter verbirgt. Module sind komplexe, thematisch festgelegte Lehrplaneinheiten, die bis ins kleinste Detail festschreiben, womit sich ein Student zu beschäftigen hat. Eben aufgrund der Komplexität und thematischen Festlegung sind sie kaum aufeinander anrechenbar, was schon allein für sich einen Wechsel des Studiengangs oder der Universität nahezu unmöglich macht. Drittes Minus an Mobilität.
Als wäre das nicht genug, hat man diese Reform innerhalb der europäischen Länder unterschiedlich umgesetzt, sodass ein Auslandsaufenthalt heute viel schwerer in das Studium zu integrieren ist als noch vor der Reform. Viertes Minus an Mobilität.
Die Studenten sind nach Bologna gezogen, ein Studium dort zu Ende zu bringen, wo sie begonnen haben. Sie haben im Studium keine Freiheit mehr, Fächer zu kombinieren. Sie haben keine Freiheit mehr, etwas wegzulassen, und keine Freiheit mehr, Schwerpunkte zu wählen. Alles ist bis ins kleinste Detail vorgegeben. Die Mobilität wurde im Namen der Mobilität erstickt. An die Stelle von echter Bildung trat geistlose Faktenhuberei.
(Beifall bei der AfD)
Gegenstände können nicht mehr vertieft werden, und damit kann die Fähigkeit des Sichvertiefens, von dem die Wissenschaft lebt, nicht mehr trainiert werden. Dafür entwickeln die Studenten eine wahre Meisterschaft im Jonglieren mit ECTS-Punkten. Der bürokratische Kleingeist triumphiert.
Botho Strauß sagt in seinem Essay „Die Lichter des Toren“ – ich zitiere -:
„In den Schulen werden die Kinder vom Lernstoff zertrümmert. Da niemand mehr weiß, wohin, wozu und woher sie zu bilden wären, werden sie Opfer eines nichts und niemanden mehr formenden Wissens. Sie empfangen Wissensschläge, die verheerender wirken, als Ohrfeigen.“
Botho Strauß spricht hier über die Schule. Das Gesagte gilt aber genauso für die Bologna-Reform, die aus der Universität eine Art gymnasialer Oberstufe gemacht hat.
Während die Medizin und die Jurisprudenz den Bologna-Irrsinn abwehren konnten und sich hier und da auch ein paar Diplom-Studiengänge halten konnten und solche teilweise sogar wieder eröffnet wurden, hat der Bologna-Prozess die Geisteswissenschaften am härtesten getroffen.
Da mir in politischen Auseinandersetzungen öfter die dümmlich auftrumpfende Frage begegnet: „Was ist denn deutsche Kultur?“, will ich bei dieser Gelegenheit einmal festhalten: Die deutsche Geisteswissenschaft, wie Wilhelm Dilthey sie beschrieben hat, ist ein starkes Stück deutscher Kultur. Indem der Bologna-Prozess das Studium der Geisteswissenschaften nach einem aus der angelsächsischen Tradition herkommenden Muster umstrukturiert hat, hat er die deutsche Universität ins Mark getroffen.
(Dr. Andreas Schmidt, SPD, lacht)
Gerade im Bildungswesen, das auf das Engste mit der Kultur eines Landes verknüpft ist, gilt, dass es umso stärker ist, je entschlossener es zu sich selbst steht.
Internationaler Austausch ist überhaupt nur dann sinnvoll, wenn es vom anderen etwas zu lernen gibt. Etwas zu lernen gibt es aber nur dann, wenn er die Dinge anders sieht, wenn er also gerade nicht einem Wahngebilde von Internationalität hinterherhechelt, sondern seinen eigenen Blick auf die Welt pflegt.
(Zuruf von Birke Bull-Bischoff, DIE LINKE)
Dann ist es interessant, sich mit ihm auszutauschen. Und nur wenn es interessant ist, wird es auch zum Austausch kommen.
Die europäischen Wissenschaften standen zu jeder Zeit und völlig unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen im Austausch miteinander. Immanuel Kant hat die englische Moralphilosophie seinerzeit intensiv rezipiert. Die Ideen der Prager Strukturalisten wurden über den Eisernen Vorhang hinweg in ganz Europa aufgenommen und die Auseinandersetzung zwischen Heidegger und Sartre hat sogar den Zweiten Weltkrieg überstanden.
Diese willkürlich herausgegriffenen Beispiele ließen sich endlos vermehren. Sie zeigen: Der Drang zur Wissenschaft ist so stark, dass er auch die widrigsten politischen Umstände überwindet.
Lächerlich ist die Vorstellung, die europäischen Wissenschaften hätten Politiker nötig, die auf Internationalisierung drängen. Ich denke, es ist eher umgekehrt. Gäbe es keine zwanghaften Internationalisierungsprogramme und nicht die aberwitzige Bologna-Bürokratie, hätten die Universitäten wieder mehr Zeit, sich der Wissenschaft zu widmen, und das würde auch den internationalen Austausch beleben.
(Beifall bei der AfD)
Da es mir beim besten Willen nicht gelingen will, die politischen Akteure für so inkompetent zu halten, dass ich ruhigen Gewissens annehmen könnte, die Bologna-Reform sei einfach nur schlecht gemacht, muss ich davon ausgehen, dass die tatsächlichen Auswirkungen dieser Reform auch beabsichtigt waren.
Bologna war ein Programm, um die deutsche Universität und vor allem die Geisteswissenschaft an die Kandare zu legen. Die besondere Ironie an der ganzen Sache ist, dass sich wesentliche Teile des Bologna-Prozesses auf die Bologna-Erklärung von 1999 gar nicht berufen können. Es drängt sich tatsächlich der Verdacht auf, dass deutsche Bildungspolitiker die Erklärung von Bologna nur als billigen Vorwand hernahmen, um etwas ins Werk zu setzen, das sie schon lange vorhatten, das sie aber anders nicht legitimieren konnten.
Der Forderung nach zwei Hauptzyklen des Studiums, von denen einer nach drei Jahren abschließt – eine der Hauptforderungen der Erklärung von Bologna – hätte durch Einführung eines Baccalaureus innerhalb der Struktur des Magisterstudiums problemlos Genüge getan werden können. Es bedurfte dafür nicht der weitreichenden Umstrukturierungen, wie sie dann durchgeführt wurden.
Was die Akkreditierungsagenturen angeht, so ist von ihnen in der Erklärung von Bologna überhaupt nicht die Rede. Die Akkreditierungsagenturen sind zu 100 % auf dem Mist von Altparteien-Politikern gewachsen. Das Akkreditierungsverfahren kostet die Universitäten und insbesondere die Lehrstühle ein Unmaß an Zeit und Geld; der Nutzen geht gegen null. Es ist ein Irrglaube, die Qualität eines Studienganges ließe sich durch solche Agenturen messen, geschweige denn absichern.
Die Qualität einer akademischen Einrichtung besteht nur durch das Ansehen in der Fachwelt. Um sich ein solches Ansehen zu erarbeiten, braucht sie keine Gängelung durch die Politik. Sie braucht dazu nichts als Freiheit, Freiheit und nochmals Freiheit.
(Beifall bei der AfD)
Worum es bei den Akkreditierungsagenturen in Wahrheit geht, das ist, einen Paradigmenwechsel durchzupeitschen, weg von echter Hochschulbildung und akademischer Freiheit hin zu Verschulung und totaler Ökonomisierung. Umso erfreulicher ist es, dass das Bundesverfassungsgericht die Akkreditierungspraxis im März 2016 für verfassungswidrig erklärt hat.
Bernhard Kempen, der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, hat aus Anlass dieses Urteils dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Er hat dabei klargestellt, dass Qualitätssicherung nur Sache der Universitäten selbst sein kann und nicht von – ich zitiere ihn wörtlich; Achtung! – „halbstaatlichen Agenturen, in denen irgendwelche abgewrackten Wissenschaftsfunktionäre sitzen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben“. Danke, Herr Prof. Kempen, für diese deutlichen Worte.
(Beifall bei der AfD)
Im Grunde wird seit dem Beginn des Bologna-Prozesses permanent nachgebessert. Niemand aber hat den Mut, endlich offen einzugestehen, dass diese Reform nichts als Schaden angerichtet hat, und den einzig vernünftigen Schluss zu ziehen, der nur lauten kann: Bologna muss weg!
(Beifall bei der AfD)
Die AfD ist die einzige Partei, die das seit ihrer Gründung fordert. Seien Sie versichert, wir werden damit nicht aufhören, solange dieses geistige Vernichtungswerk nicht beseitigt ist.
Ich habe erleben müssen, wie diese Reform mit aller Gewalt durchgedrückt wurde. Mahnende Stimmen wurden überhört. Professoren wurden bearbeitet, gegen ihre Überzeugung diesem Machwerk zuzustimmen, und sind der Reihe nach umgefallen.
Die deutsche Universität hat leider wieder einmal bewiesen, dass sie einer schlechten Politik zu wenig Widerstand entgegengesetzt.
Ich wollte etwas dagegen unternehmen, aber es gab keine Partei, die sich gegen Bologna ausgesprochen hat. Von der Linkspartei bis zur CDU waren alle Parteien gleichgeschaltet. Doch dann betrat im März 2013 die AfD die Bühne und gab endlich denen, die den von oben verordneten Irrsinn nicht länger hinnehmen wollten, eine Stimme.
(Beifall bei der AfD)
Ich fordere Sie auf: Nehmen auch Sie Vernunft an und bereiten Sie gemeinsam mit uns dem Elend ein Ende. Das Ganze beruht nicht einmal auf einer EU-Richtlinie, sondern auf nichts als dem politischen Willen der Altparteien – also buchstäblich auf nichts.
(Heiterkeit bei der AfD)
Sie können sich dieses Mal nicht mit irgendeiner Rechtslage herausreden. Im Grunde wissen Sie doch auch selbst, dass diese Reform nicht mehr zu halten ist. Stimmen Sie unserem Antrag zu und fordern Sie die Landesregierung auf, ein Ausstiegsszenario vorzulegen; denn – ich schließe mit einem Wort von Friedrich Nietzsche – was fällt, das soll man stoßen.
(Beifall bei der AfD)