7. Februar 2018

Des feigen Jägers scheues Reh

Es gibt poli­ti­sche Debat­ten, die haben etwas von Ritua­len. Wer glaubt, die Sache sei aus­dis­ku­tiert, sobald alle Argu­men­te aus­ge­tauscht sind, irrt sich. Ein Stich­wort genügt, und es geht wie­der los. Wie Ebbe und Flut kommt und geht die Debat­te. Dazu gehört auch das Fol­gen­de. Hat doch ein gewis­ser Frank Chris­ti­an Han­sel mir tat­säch­lich in einem kur­zen Bei­trag auf sei­ner Home­page nichts weni­ger vor­ge­wor­fen als, ich sei ein poli­ti­scher Depp, weil ich einen Kurs befür­wor­te, der die Wäh­ler ver­schre­cke. Nach­zu­le­sen ist das Gan­ze hier:
http://frank-hansel.de/antwort-auf-die-frage-von-hans-thomas-tillschneider-patriotische-plattform-was-ist-schlimmer-merkel-oder-einer-der-neger-sagt

Die Argu­men­ta­ti­on von Frank-Chris­ti­an Han­sel, die in dem Bild vom Wäh­ler als scheu­em Reh gip­felt, erin­nert mich stark an Lucke, der im Wahl­kampf 2013 genau damit ver­hin­dert hat, den Islam zum Wahl­kampf­the­ma zu machen, „sonst kom­men wir viel­leicht nicht in den Bun­des­tag, weil die Pres­se uns dann als frem­den­feind­lich dar­stellt und das die Wäh­ler ver­schreckt“. Das genaue Gegen­teil hat sich als rich­tig erwie­sen: Wir sind 2013 n i c h t in den Bun­des­tag ein­ge­zo­gen, weil wir den Islam dama­las n i c h t zum The­ma gemacht haben. Hät­ten wir das schon damals getan, wir wären sicher nicht unter 5% geblie­ben. Die Sache mit dem scheu­en Reh ist übri­gens die Abwand­lung des Karl Marx zuge­schrie­be­nen Sprich­worts „Das Kapi­tal ist ein scheu­es Reh“, das seit­dem mehr­fach her­hal­ten muß­te, um den steu­er­li­chen Unter­bie­tungs­wett­be­werb und die Lohn­ab­wärts­spi­ra­le im Zei­chen eines glo­ba­len Wett­be­werbs zu recht­fer­ti­gen. Es sind dann inter­es­san­ter­wei­se doch immer die glei­chen, die irgend­wo scheue Rehe wittern.

Der Wäh­ler jeden­falls ist garan­tiert kein scheu­es Reh. Ich wür­de ihn eher mit einem trä­gen Stier ver­glei­chen wol­len, in dem sich die Wut staut und der nur auf das rich­ti­ge Signal war­tet, um los­zu­stür­zen. Es muß frei­lich ein kräf­ti­ges Signal sein, wie etwa Trump es in den USA gege­ben hat, dem die Han­sels die­ser Welt übri­gens auch vor­her­ge­sagt haben, er wer­de die US-Wah­len nicht gewin­nen, er ver­schre­cke zu vie­le Wäh­ler, z.B. die Frau­en und die His­pa­nics. Im Ende hat er genug Wäh­ler mobi­li­siert, um zum US-Prä­si­den­ten gewählt zu wer­den. Wes­halb? Weil sei­ne rebel­li­sche, pro­vo­kan­te Art poli­tisch attrak­tiv ist.

Und genau dar­auf kommt es an. Mut und Pro­vo­ka­ti­on sind attrak­tiv. Mut und Pro­vo­ka­ti­on mobi­li­sie­ren. Die AfD ist nicht da, wo sie ist, weil wir so schön lei­se tre­ten und nie­man­den ver­schreckt haben, son­dern weil wir uns in Essen von Lucke getrennt haben und seit­dem ver­dammt viel Staub auf­wir­beln. Wer Leu­te gewin­nen will, muß Leu­te ver­prel­len. Wer es allen recht machen will, macht es im Ende nie­man­dem recht. Wir sind da, wo wir sind, weil wir dif­fa­miert wer­den, was das Zeug hält. Ver­ein­zelt bemerkt das auch die Pres­se. Sie wer­fen sich selbst vor, sie hät­te uns durch eine skan­da­li­sie­ren­de Bericht­erstat­tung erst groß gemacht und expe­ri­men­tie­ren nun mit sach­li­che­ren Tonlagen.

Sol­len sie! Für uns eine Win-win-Situa­ti­on, denn wir kön­nen nicht nur Pro­vo­ka­ti­on, wir haben auch sach­lich etwas zu bie­ten. Dar­auf soll­ten wir frei­lich immer ach­ten: Daß die Pro­vo­ka­ti­on nicht sinn­los ist, son­dern sich in ihr ein sach­li­cher Kern ver­birgt. Daß sie not­wen­dig ist. Der schlich­te Satz „Deutsch­land den Deut­schen“ ist dafür ein Mus­ter­bei­spiel. Er spricht so ein­fach wie mög­lich eine Wahr­heit aus, die man in die­sem Staat ger­ne aus dem Bewußt­sein getilgt hät­te. In die­sem Zusam­men­hang ver­wei­se ich nur auf die Ana­ly­se der Begrün­dung des Karls­ru­her NPD-Urteils durch Thor von Wald­stein. https://antaios.de/buecher-anderer-verlage/institut-fuer-staatspolitik/wissenschaftliche-reihe/48959/wer-schuetzt-die-verfassung-vor-karlsruhe

Frei­lich ist nicht immer jede Pro­vo­ka­ti­on sach­lich not­wen­dig in die­sem Sinn; sicher ist nicht immer jede Pro­vo­ka­ti­on hilf­reich. Sie scha­det aber auch nicht. Wer den Wäh­ler zum scheu­en Reh erklärt, der ver­kauft damit nur sei­ne eige­ne Sehn­sucht nach Aner­ken­nung durch das Estab­lish­ment, sei­nen Oppor­tu­nis­mus und sei­ne Anpas­sungs­be­reit­schaft als tak­ti­sche Klug­heit. Wer so han­delt, den wür­de ich nun nicht gera­de als „Dep­pen“ bezeich­nen, aber beson­ders intel­li­gent ist es auch nicht.