3. April 2020

Wir sind Volkspartei! Freundschaftlicher Rat an den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen

Auf der Inter­net­sei­te der Online-Zei­tung „Tichys Ein­blick“ hat Jörg Meu­then am 1.April in einem Inter­view offen für eine Auf­spal­tung der AfD in zwei Par­tei­en plä­diert. Was von vie­len zunächst für einen April­scherz gehal­ten wur­de, hat sich als ernst gemeint her­aus­ge­stellt und eine Wel­le des Wider­spruchs ausgelöst.

Ich will mir die Empö­rung  spa­ren und auch nicht auf die frag­wür­di­gen Umstän­de ein­ge­hen, die u.a. dar­in lie­gen, daß eine der Par­tei nicht ange­hö­ren­de Stif­tungs­prä­si­den­tin nichts Bes­se­res zu tun hat­te, als ihre Unter­stüt­zung des Vor­schlags öffent­lich kund zu tun. Ich will mich nicht mit der Jun­gen Frei­heit befas­sen, die wie­der ein­mal pene­trant ver­sucht, in die Par­tei hineinzuregieren.

Nicht zu weit trei­ben will ich es auch mit der Dis­kus­si­on dar­über, ob Jörg Meu­then für die­sen Vor­stoß aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wer­den kann. Nach § 5 Bun­des­sat­zung ist jedes Mit­glied ver­pflich­tet, die Zwe­cke der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land zu för­dern. Setzt nicht die För­de­rung des Zwecks einer Par­tei die Ein­heit der Par­tei vor­aus? Ist eine grö­ße­re Treue­ver­let­zung gegen­über der Par­tei denk­bar als ihre Spal­tung zu betrei­ben? Kann man eine Par­tei – einen poli­ti­schen Per­so­nen­zu­sam­men­schluß – objek­tiv schwe­rer schä­di­gen als durch die Spaltung?

Meu­thens Behaup­tung, doch nur eine unschul­di­ge Über­le­gung zu äußern, trägt wenig zu sei­ner Ent­las­tung bei, weil viel mehr einem Par­tei­vor­sit­zen­den gar nicht mög­lich ist. Jörg Meu­then kann nicht die Spal­tung der Par­tei ver­fü­gen. Auch und gera­de, wenn er spal­ten will, kann er nicht viel mehr tun, als eine Debat­te dar­über anzet­teln. Hal­ten wir uns an das, was er gesagt hat, fällt eine Spe­ku­la­ti­on dar­über, was er tun wür­de, wenn er könn­te, wie er woll­te,  nicht gera­de zu sei­nen Guns­ten aus.

Der Öko­no­mie­pro­fes­sor scheint zu ver­ken­nen, daß wir in der Par­tei einen poli­ti­schen, kei­nen aka­de­mi­schen Dis­kurs füh­ren. Wir haben hier kei­nen Raum des nur theo­re­ti­schen Gesprächs und des Durch­spie­lens von Mög­lich­kei­ten. So etwas ist im Poli­ti­schen, wenn über­haupt, dann nur im Gehei­men mög­lich. Wer im Poli­ti­schen laut nach­denkt, der denkt nie nur nach, son­dern der han­delt poli­tisch, der posi­tio­niert sich, der greift an und macht sich eben dadurch natür­lich auch angreif­bar. Zur Wah­rung sei­ner intel­lek­tu­el­len Ehre will ich dahin­ge­stellt sein las­sen, ob Meu­then dies viel­leicht gar nicht ver­kennt, son­dern sich nur dumm stellt.

Wie dem auch sei. Ich will trotz alle­dem das Dis­kus­si­ons­an­ge­bot anneh­men, die Idee abwä­gen und ernst neh­men, denn sie ist abge­se­hen von ihrer Par­tei­schäd­lich­keit auch schlicht falsch. Da ich zu die­sem Ergeb­nis kom­me, kann ich sie wie­der­um guten Gewis­sens öffent­lich dis­ku­tie­ren. Sie ist dop­pelt falsch, quan­ti­ta­tiv und qualitativ.

Meu­then argu­men­tiert für sein Tren­nungs­sze­na­rio mit der Vor­stel­lung, daß getrenn­ter Stim­men­fang aufs Gan­ze mehr Stim­men ein­bringt. Da fah­ren nun zwei Fisch­kut­ter mit zwei Net­zen durchs Meer der Wäh­ler­stim­men, und es soll ins­ge­samt mehr hän­gen blei­ben als bei einem Kut­ter mit einem gro­ßen Netz. Die­se Vor­stel­lung ist falsch. Bekannt­lich ist Lie­be das ein­zi­ge, was mehr wird, wenn man es teilt. Poli­ti­sche Macht wird weni­ger. Wer wählt, will eine star­ke Kraft. Er will, daß sei­ne Stim­me Gewicht hat, will gut ver­tre­ten sein. Das war einer der Grün­de, wes­halb vie­le Wäh­ler der Repu­bli­ka­ner nach anfäng­li­chen Erfol­gen wie­der zur CDU wech­sel­ten. Die bei­den Tei­len wären nach der Tren­nung zusam­men­ge­rech­net weni­ger als das unge­teil­te Gan­ze davor. 

Jörg Meu­then ver­kennt die­sen Effekt. Und er gibt der Ideo­lo­gie zu viel Gewicht. Er defi­niert die Spalt­pro­duk­te der AfD als ideo­lo­gi­sche Kli­en­tel­par­tei­en: die eine ist dem Wirt­schafts­li­be­ra­lis­mus ver­pflich­tet, die ande­re dem Sozi­al­pa­trio­tis­mus. Sol­che ideo­lo­gi­schen Kli­en­tel­par­tei­en kön­nen nie­mals Volks­par­tei wer­den. Sie sind nicht dem Volk ver­pflich­tet, son­dern einer Trä­ger­grup­pe, die immer nur einen Teil des Vol­kes aus­macht, die ihre Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen ver­tritt und eine dazu pas­sen­de Ideo­lo­gie aus­bil­det. Eine Volks­par­tei aber muß zumin­dest den Anspruch erhe­ben, das Volk in sei­ner Gesamt­heit zu ver­tre­ten, wes­halb sie meh­re­re Strö­mun­gen nicht nur dul­den soll­te, son­dern drin­gend braucht und inte­grie­ren muß.

Was Jörg Meu­then zur AfD in ihrer aktu­el­len Ver­faßt­heit sagt, hät­te sich von jeder ehe­ma­li­gen Volks­par­tei sagen las­sen, als sie noch Volks­par­tei war, daß sie näm­lich aus min­des­tens zwei Flü­geln besteht, die unter­schied­lich aus­ge­rich­tet sind und hin und wie­der mit­un­ter hef­tig anein­an­der gera­ten: die SPD mit den ganz Lin­ken um Ott­mar Schrei­ner auf der einen Sei­te und dem See­hei­mer Kreis auf der ande­ren Sei­te, die CDU mit ihren – mir per­sön­lich sehr sym­pa­thi­schen – „Stahl­hel­mern“ um Alfred Dreg­ger auf der einen Sei­te und auf der ande­ren Sei­te die Netz­wer­ke um Rita Süß­muth und Hei­ner Geißler.

Die Exis­tenz der ver­schie­de­nen Strö­mun­gen war für die­se Par­tei­en kein Hin­der­nis, son­dern eher so etwas wie ein Erfolgs­re­zept. Zugrun­de gegan­gen ist die SPD und zugrun­de gehen wird die CDU auch nicht wegen der unter­schied­li­chen Strö­mun­gen, son­dern – im Gegen­teil -, weil Strö­mun­gen abster­ben. Der Nie­der­gang der SPD wur­de ein­ge­lei­tet durch eine ein­sei­ti­ge Poli­tik gegen Arbeits­lo­se und Gering­ver­die­ner zuguns­ten des inter­na­tio­na­len Finanz­ka­pi­tals, was mit der völ­li­gen Mar­gi­na­li­sie­rung des lin­ken Flü­gels ein­her­ging. Der Nie­der­gang der CDU wird gera­de ein­ge­läu­tet durch die Total­herr­schaft des lin­ken Lagers und Koali­tio­nen mit den Grü­nen bei schar­fem Vor­ge­hen gegen den rech­ten Flügel.

Das gilt nicht min­der für die AfD. Die Ham­bur­ger AfD wür­de ohne den Flü­gel, ohne den sozi­al-patrio­ti­schen Kurs und ohne die Stim­men aus den schlech­ten Vier­teln ziel­si­cher weit unter 5% lan­den. Nicht Abspal­tung eines Flü­gels, nicht Vor­herr­schaft eines Flü­gels, son­dern das ab- und aus­ge­wo­ge­ne, gut mode­rier­te Gleich­ge­wicht der Flü­gel ist das Erfolgs­re­zept. Ich rate des­halb Jörg Meu­then, wie­der zum Kurs der Ein­heit, zum Kurs der Volks­par­tei AfD zurück­zu­keh­ren. Nur auf die­sem Kurs wird die AfD ihrer his­to­ri­schen Rol­le gerecht. Hier gilt: Wer ver­sucht, die AfD zu rich­ten, den rich­tet die AfD.

Hans-Tho­mas Tillschneider