23. August 2020

Ungarn, Du hast es besser!

Ein Ver­gleich, der alles sagt: In der unga­ri­schen Klein­stadt Tapol­ca am Plat­ten­see steht auf einem klei­nen Platz im Schat­ten dich­ter Bäu­me eine im Jahr 2000 errich­te­te manns­ho­he Sta­tue vom Ste­phan dem Hei­li­gen, Mis­sio­nar, ers­ter König der Ungarn und Natio­nal­hei­li­ger. Gebo­ren 969, gestor­ben 1038. Auch in Deutsch­land fin­den wir Sta­tu­en von Hein­rich, dem ers­ten König der Deut­schen, doch sie stam­men aus dem letz­ten und vor­letz­ten Jahr­hun­dert. Eine Unvor­stell­bar­keit, daß in dem Deutsch­land unse­rer Tage auf einem öffent­li­chen Platz eine Sta­tue errich­tet wür­de, die an Hein­rich I erin­nert. Dabei wäre es doch eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Deutsch­land aber ist ein Land, in dem das Selbst­ver­ständ­li­che unvor­stell­bar gewor­den ist. Gemacht wor­den, um genau zu sein. Zu jedem Gemacht-wer­den frei­lich gehört auch ein Mit-sich-machen-las­sen, um wie­der­um ganz genau zu sein.

Zwei­te Sze­ne: Auf Burg Schi­meck, zu deren Geschich­te eine Tafel erklärt, daß sie wäh­rend der Tür­ken­krie­ge mehr­mals bela­gert, doch nie erobert wur­de, hängt in einem Aus­stel­lungs­raum eine Kar­te von Ungarn in den Gren­zen von 1910. Ohne Kom­men­tar. Also kein Expo­nat. Eher ein Dekor. Aber wahr­schein­lich doch mehr: Eine Erin­ne­rung. Mei­ne Geburts­stadt Tem­be­schurg, auf Unga­risch Temes­var, lag damals noch tief in Ungarn. Und auch das wie­der unvor­stell­bar: Daß heu­te bei uns in Deutsch­land irgend­wo in einem öffent­li­chen Gebäu­de ohne Kom­men­tar eine Kar­te des Deut­schen Rei­ches in den Gren­zen von 1871 hängt. Dabei geht von all dem kei­ne Aggres­si­vi­tät aus. Die Kar­te ist kei­ne Auf­for­de­rung zum Über­fall auf Rumä­ni­en und zur Rück­erobe­rung der Gebie­te. Was sich hier aus­spricht, ist ein ruhi­ges, in sich ruhen­des Bewußt­sein ver­gan­ge­ner, damit aber auch durch­leb­ter Grö­ße, auf­ge­ho­ben in der Gegen­wart, also Teil der eige­nen Identität.

Auf der Burg herrscht ein Betrieb, wie er auf der grö­ße­ren und bes­ser erhal­te­nen Burg Quer­furt noch nicht vor­ge­kom­men ist. An einem gewöhn­li­chen Werk­tag in den Som­mer­fe­ri­en quillt der Innen­hof über. Kin­der­wä­gen und das Gejauch­ze der Klein­kin­der sind all­ge­gen­wär­tig. Es zieht das Volk zu den Bur­gen, ein Volk aus nor­ma­len Fami­li­en, von denen jede meh­re­re Kin­der zählt. Ein Hin­ter­grund wie wohl in jenem Wer­be­film, mit dem sich die unga­ri­sche Stadt Stuhl­wei­ßen­burg um den Titel einer euro­päi­schen Kul­tur­haupt­stadt 2023 bewor­ben hat­te und letzt­lich unter­lag, weil nach Mei­nung der EU-Büro­kra­ten in die­sem Film zu vie­le fröh­li­che wei­ße Men­schen, zu vie­le Kreu­ze und Kir­chen und zu weni­ge Migran­ten zu sehen waren.

Die Burg selbst wur­de, nach­dem sie wäh­rend der sozia­lis­ti­schen Zeit dem Ver­fall preis­ge­ge­ben war, nicht nur erforscht und gesi­chert, sie wur­de in wei­ten Tei­len regel­recht wie­der­auf­ge­baut. Dach­stüh­le, auf­wen­di­ge Holz­kon­struk­tio­nen nach his­to­ri­schen Model­len und im magya­ri­schen Stil, wur­den errich­tet, gan­ze Mau­ern rekon­stru­iert und stel­len­wei­se, wo his­to­ri­sche Noti­zen fehl­ten, wohl auch nach Gut­dün­ken der Archi­tek­ten ergänzt und wei­ter­ge­baut, das alles viel­leicht nicht ganz getreu zum Vor­bild einer bestimm­ten Epo­che, aber auch, ohne die his­to­ri­sche Sub­stanz zu ver­let­zen. Die Burg wur­de nicht nur wie­der­auf­ge­baut; man hat sie wei­ter­ge­baut, hat auf ihr aufgebaut.

Über­all begeg­net einem der Wil­le, die Tra­di­ti­on fort­zu­set­zen, wei­ter durch die Geschich­te zu gehen, den Faden die­ses Vol­kes nicht abrei­ßen zu las­sen. Die unga­ri­sche Fah­ne ist all­ge­gen­wär­tig bis hin zu den Tri­via­li­sie­run­gen des All­tags. Auf Schritt und Tritt, vom Eis­be­cher­fähn­chen bis zum Anhän­ger, der am Rück­spie­gel bau­melt, begeg­nen einem die Far­ben rot, weiß und grün. Daß an Amts­ge­bäu­den die Fah­ne neben dem Ster­nen­kranz hängt, stört kaum. Denn jedem ist klar: Über die­ses Volk hat Brüs­sel kei­ne Gewalt. Man nimmt von Brüs­sel, was im eige­nen Inter­es­se liegt; die Beleh­run­gen über „Plu­ra­li­tät“ und „Diver­si­tät“ aber gehen zum einen Ohr her­ein und zum ande­ren wie­der her­aus. Glück­wunsch! Das ist die Art, mit EU-Appa­rat­schiks umzugehen.

Wir woh­nen bei Par­tei­freun­den, die sich am Plat­ten­see ein Haus gekauft haben und eine Woh­nung als Feri­en­woh­nung ver­mie­ten. Das haben vie­le Deut­sche getan. Die Ungarn sehn es gern. Kei­ne ein­zi­ge Feind­se­lig­keit habe ich wäh­rend der Zeit dort erlebt, son­dern, im Gegen­teil, Wohl­wol­len, ein­la­den­de Ges­ten und Respekt. Aller­dings ist mir auch kein ein­zi­ger sog. Flücht­ling aus Nah­ost dort begeg­net. EU hin oder her, die Ungarn neh­men nur auf, wer ihnen nützt und las­sen sich nicht von pseu­doh­u­ma­ni­tä­rem Geschwätz trei­ben. Benei­dens­wer­te Ver­hält­nis­se. Ungarn, Du hast es besser!

Hans-Tho­mas Tillschneider