Nicht wie die Grünen – Weshalb Vosgerau der AfD schlecht rät.
Der Vergleich der AfD mit den Grünen ist verbraucht, und die Prognose, daß die Realos immer gewinnen, hätte einer etwas ausführlicheren Begründung bedurft als eines dahingeworfenen „liegt in der Natur der Sache“. Aber dann noch der AfD lang und breit zu empfehlen, was sie tun müsse, damit eintrete, was angeblich ohnehin eintreten werde, ist die Vollendung einer Oberflächlichkeit, wie sie nur Staatsrechtler an den Tag legen können, die auch mal Politiker spielen wollen. Kurz: Ulrich Vosgeraus jüngster Artikel in der Jungen Freiheit ist ein Ärgernis, nachzulesen hier: https://jungefreiheit.de/kultur/literatur/2021/afd-und-verfassungsschutz/.
Abgesehen davon, daß die Geschichte sich nicht wiederholt und sich der Erkenntniswert des gängigen AfD/Grünen-Vergleichs in Grenzen hält, ist das, was Vosgerau als ohnehin Eintretendes unbedingt erreichen will, genau das, was verhindert werden müßte: Daß die AfD den gleichen Entwicklungsgang nimmt wie die Grünen!
Auf AfD-Verhältnisse übertragen würde ein Nachvollzug des Schicksals der Grünen bedeuten, daß wir unseren Widerstand aufgeben, indem wir eine zur herrschenden Ideologie kompatible und also notwendigerweise unaufrichtige Variante der AfD-Ideologie entwickeln, eine Art AfD-Doppeldenk, eine rechte Entgrenzungs- und Unterdrückungsideologie zugleich. So wie die Grünen von echtem Umweltschutz auf die CO2-Ideologie eingeschwenkt sind und ihre konservativen Ideologeme zugunsten aggressiver Gender- und Minderheitenpolitik entsorgt haben, könnte die AfD ihren Geschmack an der Corona-Politik finden, weil ja die Grenzen geschlossen werden, den Islam hauptsächlich dafür kritisieren, daß er LSBTTI-feindlich ist, und Multikulti befürworten, solange alle Masseneinwanderer nur brav arbeiten und Steuern zahlen. Etwas in dieser Art würde wohl herauskommen, wenn wir das Schicksal der Grünen nachvollziehen und von der Alternative zur Ergänzung würden, um auch einmal in der Ministerlimousine fahren zu dürfen. Ein Horrorszenario, das glücklicherweise mitnichten so zwangsläufig bevorsteht, wie Vosgerau behauptet!
Dies schon allein deshalb, weil der Weg zu Macht und Pfründe, mit dem Vosgerau lockt, über gute Wahlergebnisse führt, und die werden in der AfD immer noch eher von denen errungen, gegen die er sich wendet, als von denen, auf die er setzt. Die aktuelle Corona-Politik etwa wird zu einer weiteren Erosion der Altparteien und einem Erstarken gerade jener Teilen der AfD führen, die in dieser Frage genau den grundsätzlichen Gegenstandpunkt vertreten, den die Bürger in ihrer wachsenden Wut auf die Corona-Politik mehr und mehr nachfragen.
Alles, was die grundsätzliche Alternative in ihrem Siegeszug an den Wahlurnen noch aufhalten kann, wäre ein Parteiverbot, was die Einstufung der Partei als rechtsextrem voraussetzt. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als erster Schritt auf diesem Weg ist eine Gefahr, und deshalb ist nicht alles falsch, was Vosgerau empfiehlt, um sein falsches Ziel zu erreichen. Falsch aber ist, daß er fordert, „sämtliche Anstrengungen“ der Vermeidung einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterzuordnen. Ja, die Beobachtung sollte vermieden werden, weil sie die Partei isoliert und von wichtigen Personalressourcen abschneidet, und dafür sollten auch große Anstrengungen unternommen werden. Aber Vosgerau und andere tun so, als sei es die politisches Hauptaufgabe der AfD, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu vermeiden.
Wenn dem so wäre, dann wäre es Beste, wir würden die Passagen zu Einwanderung, deutscher Identität und Islam aus dem Grundsatzprogramm der AfD nehmen und alle, die im Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz mehr als dreimal erwähnt werden, aus der Partei werfen. Man hätte so dem Verfassungsschutz jede Angriffsfläche genommen, aber freilich unseren Wählern auch jeden Grund, sich noch für die AfD zu entscheiden. Diese Panik ist mindestens genauso gefährlich wie das leichtsinnige Abtun der Gefahren, die in einer öffentlich verkündeten Beobachtung durch den Verfassungsschutz liegen. Anders gesagt: Eine AfD, die keine Alternative mehr ist, nützt uns auch nichts, wenn sie nicht verboten ist. Um nicht in fehlgeleiteter Panik das Kind mit dem Bad auszuschütten, bedarf es eines politischen Orientierungspunktes, den am ehesten noch der von Vosgerau arg gescholtene Josef Schüßlburner liefern kann (https://antaios.de/buecher-anderer-verlage/aus-dem-aktuellen-prospekt/106996/studie-39-scheitert-die-afd).
Zugegeben: In Schüßlburners Studie fallen kritische Sätze zum Grundgesetz, die im ersten Moment irritieren. Was irritiert, regt aber zum Denken an. Schüßlburner ruft uns die historischen Entstehensbedingungen des Bonner Grundgesetzes ins Bewußtsein und vermittelt uns damit eine erkenntnisfördernde Distanz, die uns gegen fragwürdige Absolutheitsansprüche und schädliche Überhöhungen immunisiert.
Umgekehrt steckt in Vosgerau mehr Schüßlburner als ihm wohl lieb ist, was immer dann deutlich wird, wenn Vosgeraus Kritik an Schüßlburner sich in Selbstwidersprüche verheddert. Vosgerau begrüßt das ontologische und nicht nur rechtspositivistische Volksverständnis des Bundesverfassungsgerichts anno 1985, führt dann aber gegen Schüßlbuners Demokratiebegriff ein Demokratieverständnis ins Feld, wonach Demokratie schlicht der Inbegriff „derjenigen Rechtsvorschriften“ sei, „die die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte sei es des Staatsvolkes, sei es der betroffenen Individuen zum Gegenstand haben“ – positivistischer geht’s wohl nicht mehr. Vosgerau ahnt etwas und fügt an, daß die Frage, ob diese Regeln „insgesamt noch die Bewertung als demokratisch verdienen“, damit nicht beantwortet sei, doch der Selbstwiderspruch, in den er sich gesetzt hat, bleibt.
Das von Schüßlburner beklagte Defizit des Grundgesetzes, nicht durch eine Volksabstimmung legitimiert worden zu sein, will Vosgerau mit dem Einwand ausräumen, daß, selbst wenn es eine Volksabstimmung gegeben hätte, heute niemand mehr von denen, die damals gewählt hätten, noch am Leben wäre. Darauf aber kann es doch nicht ernsthaft ankommen, solange das deutsche Volk, das diese Legitimationsleistung erbracht hätte, immer noch da wäre – eine Entität, an der auch Vosgerau erklärtermaßen festhalten will.
Nicht das GG sei das Übel, sondern seine verzerrende Auslegung durch die 68er, wendet Vosgerau gegen Schüßlburner ein, und erklärt Schüßlburners Position damit, daß zu dessen Studienzeiten die Vergänglichkeit des Verfassungsrechts betont und begrüßt wurde. Daß dieses Bewußtsein der Vergänglichkeit des Verfassungsrechts, das einen vor Überhöhungen aller Art schützt, aufgegeben wurde, ist dann aber wohl doch eine Begleiterscheinung eben jenes Auslegungswandels, den auch Vosgerau beklagt und dem er abhelfen will.
Zu Vosgeraus strenger Unterscheidung zwischen dem Text des GG und der verzerrenden Auslegung schließlich wäre zu sagen: Eine Auslegung, die von fast allen geteilt wird, wird irgendwann nicht mehr als Auslegungssache wahrgenommen, sondern wird Teil des Textes selbst. Das GG ist in den Händen der furchtbaren 68er-Juristen durch eine völlig entgrenzende und maßlos überhöhende Auslegung der Begriffe „Menschenwürde“, „Demokratie“ und „Gleichheit“ mutiert. Die Differenzierung zwischen Text und Auslegung hilft dann kaum noch weiter. Dieser Prozeß hat die Politikwissenschaft vollständig erfaßt und ist auch schon in die Rechtswissenschaft eingedrungen. Wie stark er die Rechtsprechung erfaßt hat, wissen wir noch nicht. Die Klagen der AfD gegen den Verfassungsschutz haben auch den Zweck, eben dies aufzuklären. Vosgerau setzt auf die Gerichte. Das ist brav und redlich, und wir sollten es ihm darin gleichtun. Für den Fall aber, daß die Gerichte die falschen Auslegungen zementieren, hat er keine Antwort. Eine unreflektierte Grundgesetzidolatrie hilft dann jedenfalls nicht weiter.
Genauso falsch aber wäre es nun umgekehrt, Josef Schüßlburner gegen Dietrich Murswiek zu setzen, der die AfD in einem Gutachten gegen die Vorwürfe des Verfassungsschutzes verteidigt hat. Weshalb diese Ausschließlichkeit? Vosgerau hätte bei Schüßlburner mehr Anknüpfungspunkte als Streitpunkte finden können, wenn er sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, in der Jungen Freiheit eine vernichtende Kritik abzufeuern. Ehrliches und tiefgehendes Interesse an einer Strategiedebatte sieht anders aus. Auch wenn Vosgerau hier eine große Widersprüchlichkeit aufbauen will: Murswiek und Schüßlburner können sich in praktischer Hinsicht gut ergänzen.
Während Schüßlburner empfiehlt, in der Grauzone des Interpretierbaren bis an den Rand des gerade noch Zulässigen zu gehen, Grenzen auszureizen und so die Spielräume des Sagbaren zu erweitern, empfiehlt Murswiek, sich umgekehrt innerhalb der Zone des Auslegbaren, wo die Zweifelsregeln zu greifen beginnen, auf der ganz sicheren Seite zu halten und auch dasjenige zu meiden, was bei korrekter Auslegung verfassungsfreu wäre, aber unter einem verzerrten Verfassungsverständnis eben auch gegen uns verwendet werden kann.
Schüßlburner zeigt uns einen Weg, die Fehlentwicklungen und Verschiebungen dieser Republik seit 1968 zu korrigieren und wieder diskursiven Bewegungsraum zurückzugewinnen. Murswiek mit seiner Strategie der kalkulierten Übervorsicht bietet uns die besseren Chancen vor Gerichten, von denen wir nicht genau wissen, wie stark sie durch die Fehlentwicklungen seit 1968 angegriffen sind. Diese Strategie liefe aber, wenn wir sie nicht nur befolgen, sondern verinnerlichen würden, auf eine gefährliche Selbstbeschränkung hinaus. Der Freiheitsraum, den wir nicht abschreiten und verteidigen, würde weiter schrumpfen. Wir würden uns dem Unrecht beugen.
Aktuell befinden wir uns in einer Phase, in der die Etablierung der AfD und ihr erster großer Wachstumsschub abgeschlossen ist und – erwartbar – eine heftige Gegenreaktion provoziert hat. Wir sind in der Defensive. Wer in der Defensive handelt, als sei er in der Offensive, wird vernichtet. Keine Not aber besteht darin, Schüßlbuner gegen Murswiek auszuspielen, denn nach dieser Defensive kommt wieder eine Offensive. Also: Lest Euren Schüßlburner und lernt Eure Lektion, aber handelt – im Zweifel – nach Murswiek!
H.-Th.Tillschneider