14. März 2022

Nehmt Abstand vom wankenden Koloß!

Ein iso­lier­tes, inter­na­tio­nal geäch­te­tes Ruß­land, regiert von einem Auto­kra­ten, der ohne tie­fe­re stra­te­gi­sche Vor­über­le­gung zu den Waf­fen gegrif­fen hat und dem des­halb der bal­di­ge Sturz bevor­steht – das ist die gro­ße Rah­men­er­zäh­lung, in der die Medi­en des Alt­par­tei­en­sys­tems von der Ukrai­ne-Kri­se berich­ten. Doch dar­in steckt mehr Wunsch und Hoff­nung als Wahr­neh­mung der Wirklichkeit.

Daß Chi­na Ruß­land freie Hand in der Ukrai­ne gelas­sen hat, ist all­ge­mein bekannt. Damit wären schon zwei von fünf stän­di­gen Mit­glie­dern des UN-Sicher­heits­ra­tes bei­sam­men, wobei bekannt­lich schon die Stim­me nur eines stän­di­gen Mit­glieds für ein Veto gegen wirk­lich emp­find­li­che Sank­tio­nen aus­reicht. Mit Chi­na steht Ruß­land zudem die Werk­bank der Welt zur Sei­te, eine hoch­pro­duk­ti­ve Indus­trie­na­ti­on, wohin­ge­gen die USA unter Deindus­tria­li­sie­rung und – damit zusam­men­hän­gend – einer para­si­tä­ren, finanz­ka­pi­ta­lis­tisch über­dreh­ten Aus­beu­tungs­wirt­schaft lei­den (und die Welt mit­lei­den las­sen wollen).

Das könn­te ein Fak­tor sein, der erklärt, wes­halb nun gera­de in Schlüs­sel­re­gio­nen für die Roh­stoff­ver­sor­gung sich abge­se­hen von den übli­chen Kan­di­da­ten wei­te­re Län­der Ruß­land gegen­über neu­tral bis freund­lich ver­hal­ten. So ste­hen im Nahen Osten nicht nur Iran, Syri­en und im Liba­non die His­bol­lah Ruß­land bei, son­dern, wie die Tages­schau selbst zäh­ne­knir­schend berich­tet, ver­hal­ten sich auch Ägyp­ten, Sau­di-Ara­bi­en und die Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­te eigen­tüm­lich neu­tral und ver­mei­den eine Ver­ur­tei­lung Ruß­lands (https://www.tagesschau.de/…/putin-potentaten-101.html).

Die­se bis­he­ri­gen US-Ver­bün­de­ten haben den USA zwar noch nicht das Bünd­nis auf­ge­kün­digt, gehen aber auf Distanz. Sie zie­hen gegen Ruß­land nicht auf Knopf­druck mit. Die­ses Ver­hal­ten geht nicht nur auf öko­no­mi­sche Fak­to­ren zurück, son­dern auch auf eine Ableh­nung der von den USA pro­pa­gier­ten Wer­te. Die ara­bi­schen Län­der wol­len sich kei­ne ihnen zutiefst frem­den Aus­deu­tun­gen von „Demo­kra­tie“ und „Men­schen­rech­ten“ auf­zwin­gen las­sen. Sie machen zuneh­mend die Erfah­rung, daß, wer sich mit den USA ein­läßt, sich ihren gesell­schafts­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen fügen muß. Der Preis für Han­del und mili­tä­ri­sche Koope­ra­ti­on mit den USA besteht dar­in, deren hoch­gra­di­ge Deka­denz in die eige­nen Gesell­schaf­ten ein­si­ckern las­sen zu müs­sen. Dazu sind immer weni­ger Län­der bereit. Ruß­land dage­gen ent­hält sich anders als frü­her die UdSSR kon­se­quent jeder Ein­mi­schung in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten sei­ner Part­ner, ver­sucht nicht, ihnen die eige­nen gesell­schaft­li­chen Vor­stel­lun­gen auf­zu­zwin­gen, und akzep­tiert im Sin­ne einer mul­ti­po­la­ren Welt­ord­nung deren kul­tu­rel­le Eigen­hei­ten. Hier baut sich gera­de ein gewal­ti­ges Wider­stands­po­ten­ti­al gegen den Glo­ba­lis­mus auf, und hier ist des­halb die Stel­le, an der jede ech­te Glo­ba­li­sie­rungs­kri­tik, auch und gera­de die von rechts, anknüp­fen sollte.

In Süd­ame­ri­ka das glei­che Bild. Nicht nur wie üblich Kuba und Vene­zue­la ste­hen Ruß­land bei, auch Bra­si­li­en ver­hält sich neu­tral (https://www.sueddeutsche.de/…/ukraine-krieg-wladimir…). Im übri­gen gibt der Vor­hof der USA ein ziem­lich unein­heit­li­ches Bild ab (https://www.dw.com/…/putins…/a‑60998571). Auch Indi­en nimmt, wie die Tages­schau schreibt, „Rück­sicht auf Ruß­land“ (https://www.tagesschau.de/…/indien-krieg-russland…). In Treue fest zu den USA in ihrem Kurs gegen Ruß­land ste­hen nur noch Japan und die EU, wobei inner­halb der EU ein­zel­ne Stim­men, allen vor­an Ungarn, zu einer dif­fe­ren­zier­ten Sicht in der Lage sind (https://www.cicero.de/…/interview-ungarn-viktor-orban…).

Ange­sichts die­ser Ver­hält­nis­se ist es kei­nes­falls aus­ge­macht, daß Ruß­land aus der Ukrai­ne-Kri­se geschwächt her­vor­geht. Das wird in den Medi­en der Alt­par­tei­en mit zuneh­men­der Pene­tranz als Gewiß­heit gepre­digt, wobei aber nur der Ein­druck zurück­bleibt, daß etwas, was so sehr als Gewiß­heit gepre­digt wer­den muß, wohl alles ande­re als gewiß sein dürf­te. Ich hal­te das Gegen­teil für wahr­schein­lich: Die USA bege­ben sich mehr und mehr in inter­na­tio­na­le Iso­la­ti­on. Mehr und mehr Län­der erken­nen, daß die öko­no­mi­sche Zusam­men­ar­beit mit den USA vor allem den USA Vor­tei­le ver­schafft, weni­ger den jewei­li­gen Part­nern. Wir, die wir dank der Fehl­ent­schei­dung unse­rer Regie­rung dem­nächst anstatt des umwelt­freund­li­chen und güns­ti­gen Erd­ga­ses aus Ruß­land über­teu­er­tes und schäd­li­ches Frack­ing-Gas aus den USA impor­tie­ren dür­fen, wer­den davon ein Lied­chen sin­gen kön­nen. Ein wei­te­res Bei­spiel wären die 100 Mil­li­ar­den für die Bun­des­wehr, die eigent­lich 100 Mil­li­ar­den für die US-Rüs­tungs­kon­zer­ne sind, denn nach allem, was bis­her zu hören war, soll damit vor allem Waf­fen­schrott aus dem USA bestellt werden.

Und abge­se­hen von den wirt­schaft­li­chen Nach­tei­len haben die USA mit Mul­ti­kul­ti, Gen­der und Black Lives Mat­ter kul­tu­rell und gesell­schaft­lich nicht nur nichts zu bie­ten, was ein ver­nünf­ti­ger Mensch auf sein Land über­tra­gen haben woll­te – sie bie­ten gera­de mit ihrem aktu­el­len Prä­si­den­ten ein Schreck­bild kul­tu­rel­ler Deka­denz. Jedes ande­re Land der Welt ist gut bera­ten, sich dage­gen so weit wie mög­lich abzuschotten.

So wird immer deut­li­cher, daß wir es bei den USA mit einem ster­ben­den Sys­tem zu tun haben, einem wan­ken­den Koloß, der sicher­lich nicht so sau­ber in sich zusam­men­fällt wie die Twin Towers, son­dern in sei­nem Fall viel mit­rei­ßen und zer­stö­ren wird. Karl­heinz Weiß­mann soll die USA ein­mal als „sanf­ten Hege­mon“ beschrie­ben haben. Mich treibt nicht die gerings­te Neu­gier, den Text zu lesen, in dem das steht, weil, wer in den USA einen „sanf­ten Hege­mon“ sieht, der­ma­ßen ver­blen­det sein muß, daß er zu kei­ner poli­ti­schen Erkennt­nis von auch nur min­de­rem Wert fähig sein dürf­te. Die USA sind kein sanf­ter, son­dern ein ster­ben­der und auf sei­ne alten Tage zuneh­mend aggres­si­ver Hegemon.

Ange­sichts des­sen ver­hält sich kaum eine Regie­rung törich­ter als unse­re Bun­des­re­gie­rung, die glaubt, sich gera­de jetzt enger als je zuvor an den ster­ben­den Rie­sen klam­mern zu müs­sen, anstatt so schnell wie mög­lich auf Abstand zu gehen. Bei einer Bun­des­re­gie­rung, an der SPD und Grü­ne betei­ligt sind, ver­wun­dert das nicht. Daß nun aber Tei­le der AfD sich davon kaum unter­schei­den, Kanz­ler Scholz am liebs­ten Bei­fall spen­den wür­den und das Hohe­lied des trans­at­lan­ti­schen Bünd­nis­ses sin­gen, bedarf der Erklärung.

Die­ses Ver­hal­ten liegt so sehr nicht in deut­schem Inter­es­se, daß es sich bei einer Par­tei, die als ein­zi­ge noch deut­sche Inter­es­sen ver­tei­di­gen will, nur als irra­tio­na­le Regung inter­pre­tie­ren läßt, als Aus­druck einer Sehn­sucht zurück in die BRD vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung, als die USA der Freund waren, Ruß­land der Feind und jeder, der die­se Set­zung mit­ge­macht hat, gro­ße Frei­hei­ten genie­ßen konn­te. Das galt vor allem für aller­lei Alt­rech­te, die wäh­rend des Kal­ten Krie­ges Gewähr boten, im Fal­le einer Kon­fron­ta­ti­on mit der UdSSR gegen die – aus Sicht der USA – Rich­ti­gen vor­zu­ge­hen. Bei­spiel­haft für die­se Liä­son steht Rein­hard Geh­len, der Gene­ral­ma­jor der Wehr­macht, der nach dem Krieg unter US-Füh­rung den BND auf­bau­en durf­te. Hier füh­ren star­ke Tra­di­ti­ons­li­nie bis in die letz­ten Mona­te des Drit­ten Rei­ches, als Tei­le der NS-Regie­rung davon phan­ta­sier­ten, nach einem Sepa­rat­frie­den mit den West­mäch­ten ver­eint mit den USA gegen Ruß­land vorzugehen.

Die USA wie­der­um haben die­sen Faden nur zu ger­ne auf­ge­nom­men, eben­so wie jetzt in der Ukrai­ne im vol­len his­to­ri­schen Sinn des Begriffs faschis­ti­sche Hyper­na­tio­na­lis­ten ger­ne gese­he­ne Part­ner sind, solan­ge sie gegen die – aus Sicht der USA – Rich­ti­gen vor­ge­hen. Eine Par­al­le­le übri­gens auch zum Fall der sog. Wehr­sport­grup­pe Hoff­mann, die Teil der Gla­dio-Struk­tu­ren gewe­sen sein soll – eine NATO-Geheim­ar­mee, die den Auf­trag hat­te, im Fall eines sowje­ti­schen Vor­sto­ßes hin­ter der Front­li­nie Sabo­ta­ge­ak­te zu begehen.

Der­glei­chen könn­te man getrost als Schau­stück in ein his­to­ri­sches Kurio­si­tä­ten­ka­bi­nett ein­sor­tie­ren, gäbe es nicht Kräf­te, die aktu­ell Anschluß an sol­che ver­faul­ten Tra­di­tio­nen gewin­nen wol­len. So hat Karl­heinz Weiß­mann sich in einem Text, der mei­ne freund­li­che Hal­tung zu Ruß­land dis­kre­di­tie­ren soll­te, allen Erns­tes auf Hans-Ulrich Rudel beru­fen, der die Rus­sen als „Bar­ba­ren mit Pfer­de­mä­gen“ beschrie­ben hat (https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2022/286113/). Hier hof­fen eini­ge wohl, wenn sie sich brav dem geo­po­li­ti­schen Spiel der USA fügen, wie­der ein wenig der Leh­re vom rus­si­schen Unter­men­schen­tum frö­nen zu dürfen.

In den alt­rech­ten Stars-and-Stripes-Mief West­deutsch­lands führt aber kein Weg zurück, weil die USA eine selbst­be­wuß­te deut­sche Hal­tung nur dem hal­ben, aber nie­mals dem gan­zen Deutsch­land zuge­ste­hen konn­ten. Nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung wur­de des­halb auch schnell die Agen­da gewech­selt und fort­an die anti­deut­sche Gesin­nung inner­halb aller lin­ken Par­tei­en und Strö­mun­gen auch von den US-Diens­ten mas­siv geför­dert. Waren vor­her die Kom­mu­nis­ten die Erz­teu­fel, die mit maxi­ma­ler Här­te aus­ge­grenzt wer­den muß­ten, so sind es seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung die Patrio­ten. Abge­se­hen davon wür­de sich ein Zurück auch gar nicht loh­nen, weil die­se Hal­tung dem deut­schen Inter­es­se im Hier und Jetzt nicht gerecht wird.

Deutsch­lands Inter­es­se als einem roh­stoff­ar­men Land mit ener­gie­in­ten­si­ver Indus­trie besteht in ers­ter Linie dar­in, mit bil­li­ger Ener­gie belie­fert zu wer­den. Als eine Macht in der Mit­te Euro­pas haben wir ein Inter­es­se, mit unse­ren öst­li­chen und west­li­chen Nach­barn in fried­li­chem Aus­gleich zu leben. Kul­tu­rell benö­ti­gen wir einen Rah­men, in dem wir unse­re deut­sche Eigen­art frei ent­fal­ten und zeit­ge­mäß ent­wi­ckeln kön­nen. Zusam­men mit den USA ist nichts davon mög­lich. Was die USA angeht, so haben wir in ers­ter Linie ein Inter­es­se, in Frie­den gelas­sen zu wer­den – und auch das kön­nen wir, seit­dem Trump nicht mehr Prä­si­dent ist, wohl nur mit Ruß­land durch­set­zen. Bin­den wir uns dage­gen ein­sei­tig an die USA, wer­den wir völ­lig deindus­tria­li­siert, aus­ge­mer­gelt und ver­armt in einer hys­te­ri­schen Kli­ma- und Gen­der­dik­ta­tur enden, ein nütz­li­cher Idi­ot von Staat, des­sen Volk sich mit per­ver­sen Paro­len aus dem Arse­nal neu­lin­ker Pseu­do­mo­ral in jede belie­bi­ge Rich­tung het­zen läßt.