9. März 2023

„Wir sind nicht die Partei der westlichen Werte, wir sind die Partei der deutschen Souveränität!“ – Eine Replik auf Norbert Kleinwächters falsche Standortbestimmung der AfD

„Wir sind nicht die Par­tei der west­li­chen Wer­te, wir sind die Par­tei der deut­schen Souveränität!“

Eine Replik auf Nor­bert Klein­wäch­ters fal­sche Stand­ort­be­stim­mung der AfD

„In der aktu­el­len Situa­ti­on des grau­en­haf­ten völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krie­ges der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on auf die Ukrai­ne…“, so beginnt Nor­bert Klein­wäch­ter ein Video, indem er pos­tu­liert, die AfD sei die Par­tei der „west­li­chen Wer­te“ (https://www.youtube.com/watch?v=HPp59mDFWzQ).

Was soll man noch erwar­ten, wenn einer schon so anfängt? Klein­wäch­ter sucht der­ma­ßen plump Anschluß an die Phra­sen, in denen die Alt­par­tei­en über den Ukrai­ne-Krieg spre­chen, daß ihn dar­in nichts mehr von den Grü­nen oder der CDU unterscheidet.

Und gera­de so geht’s weiter.

Nach der poli­tisch kor­rek­ten Ver­flu­chung Ruß­lands kommt Klein­wäch­ter auf die Spren­gung der Ost­see­pipe­lines durch die USA zu spre­chen, was wohl eine Art Aus­ge­wo­gen­heit der Per­spek­ti­ve andeu­ten soll. So sehr er aber den Ukrai­ne-Kon­flikt anti­rus­sisch über­zeich­net, so sehr spielt er die Spren­gung der Ost­see­pipe­lines – immer­hin der ers­te krie­ge­ri­sche Angriff auf deut­sche Infra­struk­tur seit Ende des 2. Welt­kriegs – mit pro-ame­ri­ka­ni­scher Absicht her­un­ter. Er stellt eine „Unsi­cher­heit wegen der Spren­gung“ fest. Und das war’s. Schon nach den ers­ten zwei Sät­zen wird so klar: Hier ist einer ange­tre­ten, sich brav dem US-Hege­mon zu unter­wer­fen und die­se Hal­tung der AfD-Mit­glied­schaft und dem AfD-Elek­to­rat irgend­wie unterzujubeln.

Es ist nicht so, daß der Krieg in der Ukrai­ne mich nicht auch etwas ver­un­si­chert hät­te, aber ange­sichts der grau­en­haf­ten, völ­ker­rechts­wid­ri­gen Spren­gung des Ost­see­pipe­lines weiß ich dann doch wie­der, wie ich mich zu ori­en­tie­ren habe. Das nur neben­bei bemerkt. Zurück zu Kleinwächter.

Ziel des ca. 10minütigen Vide­os ist der Ver­such, eine trans­at­lan­ti­sche Stand­ort­be­stim­mung phi­lo­so­phisch-geis­tes­ge­schicht­lich zu unter­mau­ern. Klein­wäch­ter argu­men­tiert in etwa so: Die AfD ist für Ord­nung, Demo­kra­tie und Rechts­staat. Als Begrün­der von Ord­nung, Demo­kra­tie und Rechts­staat zitiert Klein­wäch­ter dann die Phi­lo­so­phen Hob­bes, Locke und Rous­se­au. Ord­nung, Demo­kra­tie und Rechts­staat­lich­keit hät­ten sich zwar auch mit Kant, Hegel und den deut­schen Hob­bes-Inter­pre­ten von Carl Schmitt bis Ber­nard Will­ms bele­gen las­sen, aber dar­um geht es Klein­wäch­ter ja gera­de nicht. Ein paar bil­li­ge Erwäh­nun­gen eng­li­scher und fran­zö­si­scher Phi­lo­so­phen sol­len ers­tens einen „bür­ger­li­chen“ Bil­dungs­hin­ter­grund sug­ge­rie­ren und zwei­tens den Ein­druck erwe­cken, die geis­ti­gen Grund­la­gen unse­rer Poli­tik lägen in der angel­säch­sisch-fran­zö­si­schen Sphä­re, mit­hin im Wes­ten. Bil­lig. Sehr bil­lig, das Ganze.

Und falsch. Rous­se­au? Der Urva­ter der lin­ken 68er-Päd­ago­gik, die bekannt­lich von der Fehl­an­nah­me aus­geht, der Mensch sei von Natur aus gut und die bes­te Erzie­hung bestün­de dar­in, jede kul­tu­rel­le Zumu­tung zurück­zu­neh­men, auf daß sich die an sich gute Natur des Kin­des frei ent­fal­te? Selt­sa­me AfD-Tra­di­tio­nen sol­len das sein.

Das eigent­li­che Übel frei­lich bestün­de dar­in, so Klein­wäch­ter wei­ter, daß im Wes­ten ein Kampf des Post­mo­der­nis­mus gegen den Moder­nis­mus ent­brannt sei. Der Post­mo­der­nis­mus der Grü­nen und Lin­ken löse alles auf: Tra­di­tio­nen, Wer­te, Nor­men, letzt­lich auch die Demo­kra­tie. Wir, die AfD, wür­den zwar gegen den Post­mo­der­nis­mus kämp­fen, die­ser Kampf aber dür­fe einen nicht dazu brin­gen, „das Kind mit dem Bade aus­zu­schüt­ten“, sich also gegen west­li­che Wer­te zu wen­den und – oh Schreck! – das west­li­che Bünd­nis zu hin­ter­fra­gen. Nein, wir müs­sen, so Klein­wäch­ters Schluß, fein artig inner­halb des west­li­chen Bünd­nis­ses, also im Klar­text: der NATO, blei­ben und dort mit Hob­bes und Locke gegen Grü­ne und Lin­ke und die Krank­heit des Post­mo­der­nis­mus strei­ten. Von Ruß­land, das uns kul­tu­rell fern ste­he und unde­mo­kra­tisch sei, irgend­wie wohl doch modern, aber eben nicht west­lich, soll­ten wir uns ja fernhalten.

Rich­tig an Klein­wäch­ters Argu­men­ta­ti­on ist nur, daß der Post­mo­der­nis­mus ein Pro­blem dar­stellt. Ansons­ten ist alles ver­kehrt. Wirk­lich alles. Allein schon die Unter­schei­dung zwi­schen Moder­nis­mus und Post­mo­der­nis­mus zur Haupt­ach­se der Aus­ein­an­der­set­zung zu machen, ist falsch und wohl bewußt irre­füh­rend. Der geis­ti­ge Kampf unse­rer Zeit wird nicht zwi­schen Moder­nis­mus und Post­mo­der­nis­mus geführt. Das, was Klein­wäch­ter „Moder­nis­mus“ nennt, ist tot und wird abge­se­hen von solch skur­ri­len und blut­lee­ren Ver­an­stal­tung wie der „Biblio­thek des Kon­ser­va­tis­mus“ in Ber­lin nir­gend­wo mehr verteidigt.

Der Welt­kampf, in dem wir ste­hen, wird zwi­schen Uni­ver­sa­lis­mus und Par­ti­ku­la­ris­mus aus­ge­tra­gen. Der Uni­ver­sa­lis­mus ist ein Kind der Auf­klä­rung („Moder­nis­mus“) und hält sich von der Moder­ne bis zur Post­mo­der­ne unge­bro­chen durch. Auch und gera­de die Post­mo­der­ne bleibt bei allem, was sie an der Auf­klä­rung kri­ti­siert, doch die­sem einen Anspruch ver­pflich­tet, auf aller Welt für alle Kul­tu­ren zu gel­ten. Das Regen­bo­gen­im­pe­ri­um ist für alle da!

Die Uni­ver­sa­li­tät von „Wer­ten“, die sich in post­mo­der­ner Belie­big­keit pos­tu­lie­ren, negie­ren oder umwer­ten las­sen, wie es eben gera­de benö­tigt wird, dient als Stan­dard­be­grün­dung für impe­ria­le Ein­grif­fe in jedem Win­kel die­ser Welt. Der Post­mo­der­nis­mus konn­te sich auch des­halb gegen den Moder­nis­mus durch­set­zen, weil die post­mo­der­ne Belie­big­keit mit den Wider­sprü­chen, in die sich der Moder­nis­mus ver­strickt, bes­ser zurecht­kommt. Das Selbst­be­stim­mungs­recht der Koso­va­ren in Jugo­sla­wi­en? Hei­lig! Das Selbst­be­stim­mungs­recht der Rus­sen in der Ukrai­ne? Exis­tiert nicht!

„West­li­che Wer­te“ bean­spru­chen, über der Sou­ve­rä­ni­tät der Natio­nal­staa­ten zu ste­hen und sie bei „Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen“ jeder­zeit auf­he­ben zu kön­nen. „West­li­che Wer­te“ sind ein Gegen­be­griff zu „Sou­ve­rä­ni­tät“. „West­li­che Wer­te“ sind die Ideo­lo­gie des US-geführ­ten Regen­bo­gen­welt­staa­tes. Und dann ver­sucht Klein­wäch­ter, uns zu erklä­ren, die deut­sche Sou­ve­rä­ni­tät sei doch genau einer der „west­li­chen Wer­te“, die von der AfD ver­tei­digt wer­den sol­len (https://twitter.com/NKleinwaec…/status/1633518187617689620). Es fällt schwer, so etwas noch Ernst zu nehmen.

Die AfD als ein­zi­ge patrio­ti­sche Par­tei in Deutsch­land kann nicht die Par­tei der „west­li­chen Wer­te“ sein. Wir sind die Par­tei der deut­schen Sou­ve­rä­ni­tät, der deut­schen Wer­te und des deut­schen Wesens. Nicht der moder­ne-post­mo­der­ne Uni­ver­sa­lis­mus, son­dern der Gegen­ent­wurf zum Uni­ver­sa­lis­mus, der Par­ti­ku­la­ris­mus, ist unse­re Sache. Der Par­ti­ku­la­ris­mus betont, daß alle kul­tu­rel­len Her­vor­brin­gun­gen rela­tiv zu der Kul­tur sind, die sie her­vor­ge­bracht hat. Der Par­ti­ku­la­ris­mus ist die Welt­sicht der Boden­stän­di­gen und Ver­wur­zel­ten, die nicht über­all auf der Welt zuhau­se sind und sich die über­heb­li­che Ein­mi­schung in ihre Län­der im Namen angeb­lich höhe­rer Wert verbitten.

Die AfD steht für ein sou­ve­rä­nes Deutsch­land in einem sou­ve­rä­nen Euro­pa, das sich gegen die Ein­fluß­nah­me raum­frem­der Mäch­te ver­tei­digt. Ein wahr­haft sou­ve­rä­nes Euro­pa, das mehr sein will als der Brü­cken­kopf der ein­zi­gen Welt­macht USA, muß sich als Pol einer mul­ti­po­la­ren Welt­ord­nung ver­ste­hen. Die­ses Euro­pa reicht geo­gra­phisch von der ibe­ri­schen Halb­in­sel bis zum Ural, von Island bis Ost­thra­ki­en. Reli­gi­ös ist es die Wie­ge des Chris­ten­tums im vol­len Sin­ne als Rah­men, der West­rom und Ost­rom, Katho­li­zis­mus und Ortho­do­xie, umspannt. Kul­tu­rell wie­der­um wird die­ses Euro­pa aus drei gro­ßen Strö­men gebil­det, dem ger­ma­ni­schen, dem roma­ni­schen und dem sla­wi­schen Strom. Über die Urge­schich­te des Chris­ten­tums reicht es bis nach Klein­asi­en, Syri­en und Ägyp­ten hin­ein. Die Geschich­te des römi­schen Rei­ches bin­det Nord­afri­ka an unser Euro­pa. Man­nig­fach sind die his­to­risch-geo­gra­phi­schen Ein­bet­tun­gen die­ses Großraums.

Klein­wäch­ter behaup­tet, wir hät­ten mit dem US-Bun­des­staat Texas mehr gemein­sam als mit Ruß­land. Das Gegen­teil ist rich­tig. Mit Ruß­land, das so gut zu Euro­pa gehört wie Frank­reich oder Ita­li­en, ver­bin­det uns der Cha­rak­ter, eben kein aus aller Her­ren Län­der zusam­men­ge­wür­fel­tes Ein­wan­de­rungs­land zu sein, kei­ne mul­ti­kul­tu­rel­le Kolo­nie in der neu­en Welt, son­dern ein gewach­se­ner Natio­nal­staat und Teil Euro­pas, Teil der Alten Welt, Teil des christ­li­chen Abend­lan­des. Wie viel an inten­si­ven gemein­sa­men Erfah­run­gen ver­bin­det nicht Ruß­land und Deutsch­land, wenn wir auch nur die jüngs­te Geschich­te seit den napo­leo­ni­schen Krie­gen betrach­ten? Klein­wäch­ter weiß das natür­lich. Wenn er trotz­dem behaup­tet, wir hät­ten mehr mit irgend­ei­nem Bun­destaat im Süden der USA gemein­sam, dann ver­zerrt er die Geschich­te für sein poli­ti­sches Argumentationsziel.

Es geht ihm dar­um, uns Ruß­land, so gut er eben kann, abspens­tig zu machen, weil er weiß, daß er sich damit beim US-Hege­mon beliebt macht. Die­se Hal­tung hat wenig mit Sou­ve­rä­ni­tät zu tun. Sou­ve­rä­ni­tät zeigt sich dar­in, Bünd­nis­se und Part­ner­schaf­ten nach der Maß­ga­be des eige­nen Inter­es­ses zu wäh­len. Wenn es noch eines Bewei­ses bedurft hät­te, daß ein Bünd­nis mit den USA nicht in unse­rem Inter­es­se liegt, wäre er durch die Spren­gung der Pipe­lines erbracht wor­den. Wir hät­ten von Anfang an die Ver­su­che der USA, das Pro­jekt der Ost­see-Pipe­lines zu ver­hin­dern, zurück­wei­sen müs­sen. Das wäre sou­ve­rän gewe­sen. Hier müß­te eine Selbst­ver­or­tung der AfD anset­zen. Klein­wäch­ters Ver­such, mit Hob­bes und Rous­se­au für eine ein­sei­ti­ge West­bin­dung zu argu­men­tie­ren, ist untaug­lich für eine Selbst­ver­or­tung der AfD.

Hans-Tho­mas Tillschneider

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