16. März 2023

Nord-Stream war Ausdruck deutscher Souveränität!

Gast­bei­trag für das Frei­lich-Maga­zin vom 16.3.2023

Mit sei­nem Kom­men­tar führt der AfD-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Hans-Tho­mas Till­schnei­der die Debat­te mit sei­nem Par­tei­kol­le­gen Nor­bert Klein­wäch­ters wei­ter und wirft die­sem vor, die AfD als eine vas­al­li­ge Gior­gia-Melo­ni-Rechts­par­tei und Deutsch­land als Hilfs­she­riff des Welt­po­li­zis­ten USA zu wollen.

[Die in Gast­bei­trä­gen geäu­ßer­ten Ansich­ten geben aus­schließ­lich die Mei­nung des jewei­li­gen Autors wie­der und ent­spre­chen nicht not­wen­di­ger­wei­se denen der Freilich-Redaktion.]

Schritt 1: Nor­bert Klein­wäch­ter erklärt in einem Video die AfD zur Par­tei der west­li­chen Wer­te und for­dert trotz der Spren­gung der Ost­see­pipe­lines, am Bünd­nis mit den USA festzuhalten.

Schritt 2: Ich gebe ihm zurück, die AfD sei nicht die Par­tei der west­li­chen Wer­te, son­dern der deut­schen Souveränität.

Schritt 3: Klein­wäch­ter flüch­tet sich zur Behaup­tung, „natio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät“ sei ein „west­li­cher“, mit­hin auch US-ame­ri­ka­ni­scher Wert, wes­halb wir zur Durch­set­zung unse­rer natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät das Bünd­nis mit den USA bräuchten.

Da steht die Debat­te jetzt, und da machen wir weiter.

US-ame­ri­ka­ni­scher Wider­stand gegen Nord-Stream-Pipelines

Sicher­lich, die Idee der natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät ist in einem Kon­text „west­li­chen“ Den­kens auf­ge­keimt. Hier sind die Phi­lo­so­phen, die Klein­wäch­ter erwähnt hat, recht am Platz. Es waren die Fran­zo­sen und Eng­län­der, die den Natio­nal­staat vor uns Deut­schen gedacht haben, wie sie ja auch vor uns zu Natio­nal­staa­ten gewor­den sind. Schön und artig faßt Klein­wäch­ter den Zusam­men­hang von Natio­nal­staat, Demo­kra­tie und Sou­ve­rä­ni­tät zusam­men, wenn er sagt:

„Ohne Nati­on und ohne Volk gibt es kei­ne Sou­ve­rä­ni­tät, kei­ne Ord­nung, kei­ne Frei­heit und auch kei­ne Wer­te. Demo­kra­tie benö­tigt die­sen sta­bi­len Ord­nungs­rah­men. Sie ist, genau genom­men, kein Wert an sich, son­dern ein modus ope­ran­di der Sou­ve­rä­ni­täts­aus­übung, der dem Frei­heits­ge­dan­ken in beson­de­rem Maße Rech­nung trägt: Sou­ve­rän ist eben nicht ein König, Prä­si­dent oder Dik­ta­tor. Die Macht geht vom Vol­ke aus, das in frei­er Wil­lens­bil­dung Macht überträgt.“

Bra­vo! Nur lei­der über­sieht Klein­wäch­ter bei sei­nem Lob der Sou­ve­rä­ni­tät, daß der schärfs­te Wider­stand gegen die deut­sche Sou­ve­rä­ni­täts­aus­übung von den USA aus­geht. Oder wie sol­len wir die Spren­gung der Ost­see­pipe­lines anders interpretieren?

Das Nord-Stream-Pro­jekt lag im natio­na­len deut­schen Inter­es­se. Es hät­te uns jahr­zehn­te­lang Wohl­stand und Ener­gie­si­cher­heit beschert. Die Ver­trä­ge waren aus­ge­wo­gen, und des­halb war die freie Ent­schei­dung dafür aus deut­scher Sicht rich­tig. Es war der frei gebil­de­te, demo­kra­ti­sche Wil­le des deut­schen Vol­kes, die­ses Geschäft mit den Rus­sen abzu­schlie­ßen. Nord Stream war der vitals­te Aus­druck deut­scher Sou­ve­rä­ni­tät. Die USA wie­der­um haben mit der Spren­gung der Pipe­lines ein­drucks­voll zum Aus­druck gebracht, was sie davon halten.

Was nützt es da noch, wenn, wie Klein­wäch­ter mit ermü­den­dem Auf­wand zu zei­gen meint, der Begriff der natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät auf einem geis­ti­gen Fun­da­ment gewach­sen sein soll, das wir mit den USA tei­len würden?

Abge­se­hen davon ste­hen wir auch kul­tu­rell den USA fer­ner, als es uns die pro-ame­ri­ka­ni­sche Pro­pa­gan­da der letz­ten Jahr­zehn­te glau­ben machen will. Die USA haben einen ande­ren Begriff von Volks­sou­ve­rä­ni­tät. Ihr Staats­volk stellt eben kein his­to­risch gewach­se­nes Volk dar.

Bau­ern­söh­ne mit zu wenig Erb­teil, Ver­bre­cher auf der Flucht, ent­las­se­ne Söld­ner, Glücks­rit­ter und Geschei­ter­te jeder Cou­leur und aus aller Her­ren Län­der – sie wur­den in den USA ver­schmol­zen, ein durch Ein­wan­de­rung gebil­de­tes, ein Ein­wan­de­rungs­land par excel­lence. Deutsch­land aber ist bekannt­lich kein Ein­wan­de­rungs­land, son­dern ein his­to­risch gewach­se­ner Natio­nal­staat, und zwar erst recht, wenn es nach der AfD-Pro­gram­ma­tik geht.

USA als Blau­pau­se für den Weltstaat

Ein Ruß­land, das rus­sisch sein will und nicht nur sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät, son­dern auch sei­ne Iden­ti­tät ver­tei­di­gen will, steht einem Deutsch­land, das deutsch sein will, kul­tu­rell näher als die USA, für die unser euro­päi­sches Ver­ständ­nis von natio­na­ler Iden­ti­tät ein Fremd­wort ist. Der Mel­ting Pot USA ist die Blau­pau­se für den Welt­staat, in dem alle Kul­tu­ren und Natio­nen auf­ge­ho­ben sind. Die Wer­te der USA sind letzt­lich glo­ba­lis­ti­sche Wer­te, wes­halb es nur kon­se­quent ist, daß der Glo­ba­lis­mus, den wir bekämp­fen, von dort her sei­nen Aus­gang nimmt.

Auch wenn es dem West­ler (Западник) Klein­wäch­ter nicht gefällt: In ihrer Boden­stän­dig­keit, in ihrer christ­lich-abend­län­di­schen Ver­wur­ze­lung und wegen der viel­fäl­ti­gen his­to­risch-geo­gra­phi­schen Berüh­rungs­punk­te zwi­schen Deutsch­land und Ruß­land ste­hen uns Deut­schen die Rus­sen auch und gera­de kul­tu­rell ungleich näher als die Pio­nie­re des Wil­den Westens.

Die Hoff­nung der Ent­wur­zel­ten auf den Neu­an­fang, das ganz gro­ße Tabu­la-rasa-Machen und any­thing goes, das sind die USA. Aus die­sem uns Euro­pä­ern zutiefst frem­den Geist ist eine nach­hal­ti­ge Dyna­mik her­vor­ge­gan­gen, die aus den USA aktu­ell die ein­zi­ge Welt­macht und damit zugleich das größ­te Hin­der­nis deut­scher Sou­ve­rä­ni­täts­aus­übung gemacht hat.

Und jetzt genug mit die­sem Geplän­kel! Das alles ist näm­lich für unse­re eigent­li­che Fra­ge so gut wie nicht rele­vant. Kul­tu­rel­le Nähe oder Fer­ne hin oder her, euro­päi­sche Staats­phi­lo­so­phie hin oder her: Ange­sichts der Spren­gung der Pipe­lines und ange­sichts der Stei­ne, die uns die USA in den Jah­ren davor schon – auch unter Trump! – in den Weg gelegt haben, grenzt es an poli­ti­sche Irre­füh­rung, hier über kul­tu­rell-geis­ti­ge Affi­ni­tä­ten zu plaudern.

Es geht auch nicht um Moder­nis­mus gegen Post­mo­der­nis­mus. Es geht dar­um, daß die USA um jeden Preis ver­hin­dern wol­len, daß auf dem eura­si­schen Kon­ti­nent durch eine inten­si­ve Zusam­men­ar­beit von Deutsch­land und Ruß­land eine Macht ent­steht, die ihre eige­ne Welt­macht ein­schrän­ken könn­te. Das ist der Rah­men des Spiels.

Klein­wäch­ter will trans­for­mier­te EU am Rock­zip­fel der USA

Reden wir Tache­les! Klein­wäch­ter will, wie er sagt, kei­ne „mul­ti­po­la­re Welt­ord­nung, son­dern eine plu­ra­le Welt­ord­nung natio­na­ler, demo­kra­ti­scher und unter­schied­li­cher Staa­ten“. Damit legt Klein­wäch­ter ein Bekennt­nis zur Uni­po­la­ri­tät, mit­hin zur Welt­herr­schaft der USA, ab. Kein ande­rer Staat die­ser Welt ist für sich allein in der Lage, die abso­lu­te Macht der USA ein­zu­däm­men. Die USA brau­chen nach ihrem Divi­de-et-impe­ra-Grund­satz gera­de jenes Durch­ein­an­der und Neben­ein­an­der von vor sich hin wurs­teln­den Natio­nal­staa­ten, die ja nicht auf die Idee kom­men sol­len, zu ihrem Schutz und Vor­teil Bünd­nis­se ohne Kon­trol­le durch die USA einzugehen.

Ganz im Inter­es­se der USA for­dert Klein­wäch­ter auch kein Ende der EU, die sich als sehr hilf­reich bei der Nie­der­hal­tung Euro­pas erwie­sen hat. Klein­wäch­ter will nur „die bestehen­den Struk­tu­ren trans­for­mie­ren, statt sie für über­kom­me­ne Vor­stel­lun­gen eines ‚sou­ve­rä­nen Euro­pa‘ von der ibe­ri­schen Halb­in­sel bis zum Ural zu opfern.“ Wor­te von ent­waff­nen­der Ehr­lich­keit! Klein­wäch­ter will in der Tat kein sou­ve­rä­nes Euro­pa, son­dern eine trans­for­mier­te EU irgend­wo am Rock­zip­fel der USA.

Dabei ver­hed­dert Klein­wäch­ter sich in eine Fül­le ent­lar­ven­der Wider­sprü­che! Geht es dar­um, gegen die mul­ti­po­la­re Welt­ord­nung zu argu­men­tie­ren, wird die Frei­heit der Natio­nal­staa­ten besun­gen; geht es hin­ge­gen dar­um, daß wir Deut­schen (im Inter­es­se der USA) bit­te kei­ne inter­es­sen­ge­lei­te­te Außen­po­li­tik betrei­ben, son­dern uns an einem wie auch immer gear­te­ten West­li­che-Wer­te-Zir­kus betei­li­gen sol­len, pos­tu­liert Klein­wäch­ter: „Wir kön­nen uns nicht auf rein deut­sche Wer­te oder Tugen­den zurückbesinnen“.

Den Bri­ten bil­ligt Klein­wäch­ter zu, ihre ur-bri­ti­sche Bill of rights von 1689 gegen die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on aus­zu­spie­len, um Abschie­bun­gen zu recht­fer­ti­gen, die AfD soll sich aber damit abfin­den, daß unse­re Wer­te, so sagt Klein­wäch­ter das expli­zit, „kei­ne spe­zi­fisch deut­schen Wer­te“ sind.

Über die Spren­gung der Pipe­lines durch die USA sieht Klein­wäch­ter groß­zü­gig hin­weg. Sie soll kein Hin­der­nis für ein Bünd­nis mit den USA sein. Daß aber Ruß­land 1861 und damit lei­der erst vor 162 Jah­ren und nicht schon frü­her die Leib­ei­gen­schaft auf­hob, das soll uns, geht es nach Klein­wäch­ter, eine Freund­schaft mit Ruß­land ver­bie­ten. Er meint das ernst.

Fazit: Klein­wäch­ter will die AfD als eine vas­al­li­ge Gior­gia-Melo­ni-Rechts­par­tei und Deutsch­land als Hilfs­she­riff des Welt­po­li­zis­ten USA. Das ist das Geheim­nis hin­ter dem Wort­ge­klin­gel und dem gan­zen staats­phi­lo­so­phi­schen Buden­zau­ber. Klein­wäch­ter ver­kör­pert das, wovor der Publi­zist Jür­gen Elsäs­ser mit Recht als „Ame­ri­ka­ni­sie­rung der Rech­ten“ gewarnt hat. Wenn wir eine ech­te Alter­na­ti­ve für Deutsch­land sein wol­len, wenn wir nicht in Armut und Unfrei­heit die nütz­li­chen Idio­ten des US-Hege­mons spie­len wol­len, soll­ten wir uns von sol­chen Ansät­zen fernhalten.

Zur Per­son:

Dr. Hans-Tho­mas Till­schnei­der ist Islam­wis­sen­schaft­ler und sitzt seit 2016 für die AfD im Land­tag Sach­sen-Anhalt. Dort ist er der kul­tur­po­li­ti­sche Spre­cher der AfD-Fraktion.

16.3.2023

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