Schuld anerkennen, Schuldkult beenden!
Text meiner Rede zum 3. Preußenfest am 15.9.23 in Schnellroda
Liebe Freunde,
„Land der dunklen Wälder und kristallenen Seen“ – so beginnt das Ostpreußenlied, das Anfang der 1930er Jahre von Erich Hannighofer verfaßt wurde, einem jungen Königsberger Dichter. Es avancierte schnell zur Hymne Ostpreußens. Und auch nach dem Untergang Ostpreußens wird es weitergesungen und weitergereicht, gerade nach dem Untergang, was wohl daran liegt, daß die Wälder und Seen zu dem gehören, was geblieben ist.
Die Wälder sind noch da und die Seen, ebenso das Meer, die Elche, das Haff, der Vogelzug und das Moor. Das Ostpreußenlied beschränkt sich abgesehen von dem pflügenden Bauern in der zweiten Strophe auf ein rein natürliches Inventar.
Die Natur ist etwas, woran sich jemand festhalten kann, der als Deutscher heute nach Königsberg kommt, und – sagen wir – Schloß Friedrichstein – aufsucht – ein einst ansehnliches Barockschloß mit ausgedehntem Teich, der heute noch genauso da liegt wie auf den alten Stichen und Bildern. Nur das Schloß wurde wegretuschiert.
Die Seen. Und die Wälder. Wie schnell wachsen wohl Bäume, bis sie an die 20 Meter hoch sind? So hoch wie die dunkelgrünen Laubbäume beiderseits der Straße, die aus dem Grenzübergang Mamonovo nach Königsberg führt. Das frage ich mich, als ich an einem sonnigen Juninachmittag die ersten Kilometer in die Kaliningradskaya Oblast hineinfahre.
Wer hat diesen Wald gepflanzt? Wie tief reichen seine Wurzeln? Ich wünschte, er würde zu uns herüberrauschen aus der deutschen Zeit.
Im Osten der Stadt am Lauther Mühlenteich steht heute das Hotel Baltica, ein Plattenbau aus sowjetischer Zeit. Vor dem Hotel verläuft eine moderne Schnellstraße, der Moskovskiy Prospect, parallel dazu aber läuft eine alte Straße, die in gegenläufiger Richtung befahren wird, eine Straße aus Preußischem Kopfsteinpflaster, und es sind genau die gleichen Steine wie die Steine, aus denen der lange Weg gemacht ist, der da hinten in Jüdendorf als Dorfstraße beginnt und mitten durch die Felder nach Göhrendorf geht. Es ist der gleiche Schlackenstein, es ist das gleiche Format, mein Auto fährt mit identischem Klappergeräusch darüber und hier wie dort droht die Karre bei Geschwindigkeiten über 50 Kilometer pro Stunde auseinanderzufallen.
Vor 100 Jahren traf der Landtagsabgeordnete aus der Gegend hier seinen Königsberger Kollegen auf den Fluren des preußischen Landtags in Berlin, von Schnellroda bis Königsberg gingen die Kinder in die preußische Elementarschule und hing der preußische Adler in den Amtstuben. Von Schnellroda bis Königsberg war Preußen.
Verstreut über die ganze Kalingradskaja Oblast liegen heute die Trümmer des alten Ostpreußens umher. Hier eine Kirchenwand ohne Kirche mit Fensterbögen ohne Fenster, dort ein Grabstein ohne Grab und immer wieder Alleen aus dicken, uralten Bäumen und dichten Kronen, die sich zum Blättertunnel zusammenschließen und Schatten machen wie vor 100 Jahren.
Viel verfiel, aber manches wurde auch erhalten. Die Häuser am Fischmarkt haben reiche Russen aus Begeisterung für die Geschichte der Stadt wiederaufgebaut. Sicher, die Sowjetmenschen haben so manche Kirche zum Viehstall gemacht, aber anders als in Polen wurden die deutschen Spuren und die deutschen Erinnerungen nicht restlos ausgerissen. Die Russen lassen das deutsche Königsberg heute in aller Gelassenheit das sein, was es ist: vergangen. Und so stört sich niemand an den kitschigen Taschen, auf denen nicht in kyrillischer Schrift „Kaliningrad“, sondern in martialischer Frakturschrift „Königsberg“ steht, an den Immanuel-Kant-Universität-T-Shirts und an den Ordensritterwappen auf den Kapuzen-Pullovern, mit denen die Souvenirbuden Geschichte zu Geld machen.
Wenn Russen in Königsberg Deutsch können, und es sind doch einige, die es können, dann sind sie stolz darauf. Und auch wenn es nur ein paar Brocken sind, so suchen sie doch, sobald ihnen ein Deutscher über den Weg läuft, eine Gelegenheit ihm etwas Passendes zuzurufen. Und mit dem, was die Russen dann auf Deutsch sagen, sagen sie doch eigentlich: Schwamm drüber! Vertragen wir uns!
Das ist das Erste, was wir festhalten müssen, wenn wir uns fragen, was im Hier und Jetzt anzufangen wäre mit Ostpreußen, mit den Russen und mit uns Deutschen: Daß hier, obwohl im zweiten Weltkrieg schlimmste Feindschaft war, ganz sicher kein Hass mehr herrscht.
Anfangs war er da, groß und stark. Er hat fürchterlich gerast, hat sich dann aber verflüchtigt, weil Russen vielleicht brutal sind, aber nicht nachtragend. Von dieser Lebenstatsache, von dieser Wirklichkeit aus müssen wir uns der Vergangenheit nähern.
Auf unser vergangenes Ostpreußen, das immer ein Kapitel der deutschen Geschichte bleiben wird, haben sich Jahrzehnte russischer Geschichte gelegt. Die traurige Erinnerung an die verlorene deutsche Herrlichkeit indessen mischt sich in Ostpreußen heute mit der politischen Erkenntnis, dass künftige deutsche Souveränität, dass Befreiung vom amerikanischen Joch, wenn überhaupt, dann nur in deutsch-russischer Freundschaft möglich sein wird.
Wenn uns das gelänge, dann würden wir über die Wunde des Verlustes hinweg eine Brücke schlagen. Unser Ostpreußen wäre dann in der Hand der Macht, die uns zu neuer Souveränität verholfen hätte. Und das wäre eine Versöhnung, wie sie sich besser nicht begründen ließe und beständiger nicht sein könnte.
Zu versöhnen gibt es freilich viel in der gemeinsamen Geschichte. Unser ganzes Deutschland wurde für die Verbrechen einiger weniger Verbrecher mit der Amputation seiner Regionen im Osten bestraft, gut ein Drittel des Territoriums, und geographisch vielleicht ein Rand, aber kulturell alles andere als randständig, sondern bester deutscher Kultur- und Mutterboden.
Und weil den Siegern diese Gebietsverstümmelung nicht genug war, vertrieben sie die deutschen Menschen, ließen ihnen nicht einmal die Wahl, unter fremden Herren zu leben, sich der neuen Herrschaft zu fügen, ja im äußersten Fall sogar ihr Deutschtum abzustreifen, aber wenigstens als Menschen Haus und Hof zu behalten. Ein ganzes Volk wurde gestraft für die Verbrechen einer Parteioligarchie, als wäre es selbst durch deren Unrechtsherrschaft allein noch nicht gestraft genug gewesen.
Die Frage, ob es so etwas wie eine Kollektivschuld des deutschen Volkes gäbe, muß uns nicht kümmern, denn ohne die Antwort abzuwarten haben die Sieger des 2. WK uns vorsorglich kollektiv gestraft.
Speziell die Sieger aus dem Westen haben uns immer wieder Verrat am Erbe der Aufklärung vorgeworfen, und doch sind sie selbst zurückgefallen hinter die weltbekannte Erkenntnis, die Immanuel Kant Ende des 18. Jahrhunderts in Königsberg aufging, nämlich, daß Verantwortung persönliche Freiheit voraussetzt und einer nur Verantwortung trägt und zur Verantwortung gezogen werden kann für etwas, was er persönlich aus freiem Entschluss getan hat, und daß es mithin im Bereich des Rechts, der Moral und der Sittlichkeit keine Kollektivschuld und damit auch keine historische Schuld geben kann! Entdeckungen des Geistes, die geblieben sind, die aller Kritik an der Aufklärung standgehalten haben und hinter die es kein Zurück mehr gibt.
Und wenn man uns auch entgegenhalten mag, wir bräuchten uns nicht zu wundern, wenn der Wahn des Kollektivs, den die NS-Regierung gepflegt hatte, auf uns selbst zurückfalle, wenn wir uns also gefallen lassen müssen, nach den Maßstäben gerichtet zu werden, mit denen diese Regierung einst rigoros hantiert hatte, so müssen diejenigen, die glauben, sie seien immun gegenüber solch archaischer Anwandlung, sich doch den Vorwurf gefallen lassen, dass gerade sie es sind, die den vermaledeiten Kollektivismus weiterführen.
Groß war sicherlich die Schuld, aber gnadenlos groß auch die Strafe – so gnadenlos, daß die Strafe die Schuld gleich welcher Art bis in den letzten Winkel gesühnt und ausgetilgt hat.
Wir können das Büßerhemd ein- für allemal ablegen und erhobenen Hauptes allen Völkern dieser Welt gegenübertreten und all diejenigen munter vor den Kopf stoßen, die unsere deutsche Schuld niemals getilgt wissen wollen, und zwar nicht, weil es ihnen um Gerechtigkeit ginge, sondern im Gegenteil, weil es ihnen in ihrer Selbstgerechtigkeit einzig und allein darum geht, uns in maßloser Verdammung niederzuhalten oder – schlimmer noch – weil es gebrochene Geister sind, die sich nur noch in der Selbsterniedrigung gefallen.
In Mücheln, nicht weit von hier, liegt die sog. Adolf-Holst-Schule. Adolf Holst war ein Kinderbuchautor, der im Januar 1945 kurz vor Kriegsende gestorben ist und dessen Bücher so unpolitisch waren, dass sie in DDR und BRD weite Verbreitung fanden.
Doch vor einigen Jahren begann, ich weiß nicht wie, ein unruhiges, triebhaft-begieriges Wühlen und Schnüffeln nach braunen Spuren in Leben und Werk des Adolf Holst, ganz so wie die Schweine nach Trüffeln suchen, und nach langem Schnüffeln hat man in einem Gesamtwerk von über zehntausend Versen zwei längst vergessene Lobesverse auf Adolf Hitler zutage gewühlt, eine Gelegenheits- und Auftragsdichtung, nebenbei veröffentlicht in irgendeinem Tagblatt. Und jetzt heißt es, der Name „Adolf Holst“ seit nicht tragbar und die Schule soll nach irgendeiner Ukrainerin benannt werden, deren Name nichts zu Sache tut, weil sie hier niemand kennt. Soviel dazu.
Ein Standardkommentar zum BGB war an die 70 Jahre nach Otto Pallandt benannt und all die Jahrzehnte war bekannt und war kein Problem, daß Otto Pallandt im NS-Staat Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes gewesen ist. Die Amerikaner haben ihn 1948 umstandslos entnazifiziert.
Doch im Jahr 2021 – keine neuen Erkenntnisse haben sich seitdem ergeben – erschien er aufgrund des längst Bekannten nicht mehr tragbar, weil Deutsche 78 Jahre nach Kriegsende auf einmal schärfer richten als die Justiz der Sieger einst gerichtet hatte. Der Verlag knickte ein und der Pallandt heißt fortan Grüneberg. Liebe Freunde, Wenn die Besiegten unerbittlicher über die eigenen Leute richten als die Sieger, dann ist das nicht recht und nicht gesund, dann ist das falsch und krank.
Diese Raserei muss enden, dieser Raserei muss ein Riegel vorgeschoben werden, und hier zu sagen: “Es reicht jetzt!” Hier den längst überfälligen Schlußstrich einzufordern – das ist eine der vornehmsten Aufgaben der Partei, die sich Alternative für Deutschland nennt.
Deshalb: Wenn einem 52jährigen Mann ein Flugblatt nachgetragen wird, in dem er als Schüler vor 35 Jahren darüber phantasiert haben soll, Vaterlandsverräter ins KZ zu schicken, dann ist das, was wir heute zu kritisieren haben, nicht die unbeholfene Provokation des pubertären Gernegroß von einst, sondern das schäbige Aufblasen einer solchen jugendlichen Verirrung, um daraus Kapital zu schlagen.
An solchen Verzweiflungstaten aber sehen wir: Die Bewirtschafter der Vergangenheit finden nichts mehr, um daraus Gewinn zu ziehen. Ihre Wiesen sind hundertfach abgegrast, die Äcker leergeerntet. Und deshalb stürzen sie sich auf Flugblätter, die dumme Jungen vor 35 Jahren verbreitet haben. Aber wie der Fall Aiwanger gezeigt hat: Damit kommen sie nicht durch. Die die Deutschen machen das im Jahr 2023 nicht mehr mit. Es ist Zeit für einen Schlußstrich!
Liebe Freunde, unsere Vergangenheit soll uns keine Last mehr sein, sondern eine Lust. Und damit komme ich wieder auf Ostpreußen zurück. Als vollständig Erlöste, freie Deutsche wollen wir mit Nietzsche gesprochen den Nutzen suchen, den die ostpreußische Historie für unser deutsches Leben bringen kann.
Wenn wir den Verlust von Ostpreußen nicht zähneknirschend und heimlich auf Restitution bedacht nur zum Schein hinnehmen, sondern angesichts vergangener und unbestreitbarer Untaten als deutsches Sühneopfer anerkennen würden, freiwillig und großmütig, ohne nachzurechnen und nachzutragen, und wenn die andere Seite diese freundschaftliche Schonung erwidern würde, so daß in wechselseitiger Nachsicht kein Streit mehr zu verhärten drohte und jeder Konflikt sich löste und wenn wir so den Umstand, daß dieses Stück Preußen sich in russischer Hand befindet, als Unterpfand einer zukunftsträchtigen deutsch-russischen Freundschaft anerkennen würden, dann wäre diese Haltung Ausdruck von dem, was in aller Munde ist, was aber bislang noch kaum je geleistet wurde: Vergangenheitsbewältigung.
publiziert auf Facebook am 18.9.2023:
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