16. November 2023

Германия должна стать нейтральной – Deutschland muß neutral werden!

Ein Arti­kel im Rah­men mei­ner Kolum­ne für die rus­si­sche Zei­tung Wedemosti.
Es ist im Inter­es­se unse­res Lan­des, sich an der rus­si­schen Nah­ost­po­li­tik zu orientieren.
Der Krieg im Gaza-Strei­fen hat sich auf die Stra­ßen Deutsch­lands aus­ge­brei­tet. In den letz­ten Wochen gab es Hun­der­te von pro-paläs­ti­nen­si­schen Demons­tra­tio­nen, eini­ge mit mehr als 10.000 Teil­neh­mern. Ihnen ste­hen öffent­li­che Kund­ge­bun­gen zuguns­ten Isra­els gegen­über, wenn auch in viel klei­ne­rem Rah­men. Eini­ge schwen­ken paläs­ti­nen­si­sche Fah­nen und for­dern die Zer­stö­rung Isra­els. Ande­re schwen­ken israe­li­sche Trans­pa­ren­te und for­dern, den Gaza­strei­fen dem Erd­bo­den gleich­zu­ma­chen – in einen gro­ßen Park­platz zu ver­wan­deln. Wenn die Kon­tra­hen­ten auf­ein­an­der tref­fen, kommt es zu einem Hand­ge­men­ge. Die Poli­zei arbei­tet mit maxi­ma­ler Kapazität.
An den pro-paläs­ti­nen­si­schen Demons­tra­tio­nen neh­men fast aus­schließ­lich Ara­ber teil – Aus­län­der oder sol­che, die in den letz­ten Jah­ren die deut­sche Staats­bür­ger­schaft erwor­ben haben. In den 1970er und 1990er Jah­ren wur­de der paläs­ti­nen­si­sche Unab­hän­gig­keits­kampf in Deutsch­land von lin­ken Anti­im­pe­ria­lis­ten ein­hei­mi­scher Her­kunft unter­stützt, doch heu­te ist ihr Anteil an der Bewe­gung recht gering. Die aktu­el­len Aus­schrei­tun­gen auf den Stra­ßen und Märk­ten in Deutsch­land sind eine Fol­ge der unkon­trol­lier­ten Mas­sen­ein­wan­de­rung der letz­ten Jahr­zehn­te. Wir Deut­schen haben aus­län­di­sche Kon­flik­te importiert.
Es gibt mehr Deut­sche auf Pro-Isra­el-Demons­tra­tio­nen, aber man kann nicht sagen, dass es ihnen allen spe­zi­ell um das Schick­sal des jüdi­schen Staa­tes geht. Bei die­sen Auf­mär­schen gibt es zum Bei­spiel rech­te Poli­ti­ker, die ihre Soli­da­ri­tät mit Isra­el nut­zen wol­len, um der mas­sen­haf­ten isla­mi­schen Ein­wan­de­rung in die BRD ein Ende zu setzen.
Ande­rer­seits haben die meis­ten jüdi­schen Ver­bän­de in Deutsch­land in den letz­ten Jah­ren die Ein­wan­de­rung auch aus isla­mi­schen Län­dern unter­stützt, weil sie an die Idee einer mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft glau­ben. Jetzt kri­ti­sie­ren sie die impor­tier­te Feind­se­lig­keit gegen­über Isra­el, sind aber nicht bereit, mit der Idee der Mas­sen­ein­wan­de­rung zu bre­chen. Jetzt schla­gen sie vor, dass eine Per­son, die die Staats­bür­ger­schaft bean­tragt, sich zu Isra­el beken­nen sol­len – als ob das hel­fen würde.
Das ist alles poli­ti­sches Gezänk und ein Kampf der Lob­by­grup­pen. Die gro­ße Mehr­heit der Deut­schen ergreift im paläs­ti­nen­sisch-israe­li­schen Krieg kei­ne Par­tei, und das ist klug. Denn Deutsch­land hat über­haupt kein Inter­es­se dar­an, sich für eines von zwei Din­gen zu ent­schei­den. Wir haben his­to­risch gute Bezie­hun­gen zur ara­bi­schen Welt, die für Deutsch­land als Roh­stoff­lie­fe­rant von blei­ben­der Bedeu­tung ist. Aber wir sind auch an guten Bezie­hun­gen zu Isra­el inter­es­siert, das als hoch­ent­wi­ckel­tes Land und Atom­macht eine Schlüs­sel­rol­le im Nahen Osten spielt. Russ­land bei­spiels­wei­se befin­det sich in einer ähn­li­chen Situa­ti­on: auf der einen Sei­te eine star­ke Zusam­men­ar­beit mit dem Iran und Syri­en, auf der ande­ren Sei­te enge Bezie­hun­gen zu Isra­el, schon allein wegen der gro­ßen Gemein­schaft rus­sisch­spra­chi­ger Aus­sied­ler in die­sem Land.
Der Kon­flikt in Gaza als sol­cher liegt also weder im Inter­es­se Deutsch­lands noch Russ­lands. Wir wol­len nicht, dass eine Sei­te die ande­re besiegt. Und im Gegen­satz zu den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sind wir nicht dar­an inter­es­siert, dass der Kon­flikt wei­ter schwelt; wir wol­len einen dau­er­haf­ten Frie­den. Die bes­te Rol­le für unse­re bei­den Natio­nen ist die eines neu­tra­len Ver­mitt­lers, der sich auf diplo­ma­ti­schem Wege um Frie­den bemüht. Doch wäh­rend Russ­land die­se Rol­le sicher über­neh­men kann, steht die deut­sche Regie­rung unter star­kem Druck. Die Stra­ße der Migran­ten auf der einen, Isra­el und die USA auf der ande­ren Sei­te – jeder zieht die Behör­den der BRD auf sei­ne Seite.
Einer der Druck­punk­te für die Deut­schen ist das alte Holo­caust-Argu­ment: Da Hit­lers Regime den Völ­ker­mord an den Juden orga­ni­sier­te, muss Deutsch­land nun Isra­el ohne Wenn und Aber unter­stüt­zen. Die­sem Argu­ment haben sich die deut­schen Bun­des­kanz­ler immer wie­der hin­ge­ge­ben. Im Jahr 2008 mach­te Ange­la Mer­kel in der Knes­set eine auf­se­hen­er­re­gen­de Aus­sa­ge: Isra­els Sicher­heit sei “Deut­sche Staats­rä­son”. Streng genom­men bedeu­tet die­se For­mu­lie­rung, dass Isra­els Sicher­heit für Deutsch­land genau­so wich­tig ist wie ihre eige­ne. Folgt man die­ser Logik, könn­te man zu dem Schluss kom­men, dass Deutsch­land nun gegen die Hamas in den Krieg zie­hen soll­te. Doch das wird nicht gesche­hen. Und das nicht nur, weil die deut­sche Armee dem israe­li­schen Mili­tär in sei­nen kämp­fe­ri­schen Qua­li­tä­ten nicht eben­bür­tig ist. Die deut­sche Regie­rung ist gene­rell zurück­hal­tend, wenn es dar­um geht, ihre Sprü­che zur Unter­stüt­zung Isra­els in kon­kre­te Taten umzusetzen.
So erwar­te­ten die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und Isra­el Ende Okto­ber, dass Deutsch­land gegen eine UN-Reso­lu­ti­on stim­men wür­de, die einen Waf­fen­still­stand im Gaza­strei­fen for­der­te. Das Doku­ment wur­de unter ande­rem von Russ­land und der Tür­kei vor­ge­schla­gen und ent­hielt eine sehr aus­ge­wo­ge­ne und neu­tra­le Spra­che. Die Tat­sa­che, dass die Reso­lu­ti­on mit einer Mehr­heit von 120 Stim­men bei 14 Gegen­stim­men ange­nom­men wur­de, zeigt, wel­che Hal­tung die Welt in die­ser Fra­ge ein­nimmt. Aller­dings ent­hiel­ten sich 45 Län­der der Stim­me, dar­un­ter auch Deutschland.
Es drängt sich der Ver­dacht auf, dass es sich bei der erklär­ten bedin­gungs­lo­sen Unter­stüt­zung Deutsch­lands für Isra­el um Rhe­to­rik han­delt. Und dafür soll­ten die Behör­den nicht kri­ti­siert wer­den. Im Gegen­teil, es ist ein Hin­weis dar­auf, dass die der­zei­ti­ge deut­sche Regie­rung noch nicht den letz­ten Rest von gesun­dem Men­schen­ver­stand ver­lo­ren hat und ver­sucht, die Inter­es­sen ihres Lan­des zu ver­fol­gen. Von ech­ter Neu­tra­li­tät ist man frei­lich noch weit ent­fernt. Neu­tra­li­tät bedeu­tet nicht Gleich­gül­tig­keit – sie bedeu­tet, dass für alle Kon­flikt­par­tei­en der glei­che Maß­stab der Fair­ness gilt. Ein wirk­lich neu­tra­les Deutsch­land wür­de kei­ne über­mä­ßi­ge israe­li­sche Bru­ta­li­tät tole­rie­ren oder den Ter­ror der Hamas ver­ur­tei­len, ohne die vie­len paläs­ti­nen­si­schen Opfer unter der Zivil­be­völ­ke­rung zu erwäh­nen. Ein wirk­lich neu­tra­les Deutsch­land wür­de für eine UN-Reso­lu­ti­on stim­men, die den zivi­len Opfern auf bei­den Sei­ten das glei­che Gewicht einräumt.
Kurz gesagt, ein wirk­lich neu­tra­les Deutsch­land wür­de im Nahen Osten die glei­che Poli­tik ver­fol­gen wie Russ­land. An die­sem Punkt sind wir noch nicht ange­langt. Noch sind wir es nicht.
Link zum Text in rus­si­scher Sprache
16.11.2023