16. April 2024

Mit zweierlei Maß – Anmerkungen zum Israel-Iran-Konflikt

Kom­men­tar für das Frei­lich-Maga­zin vom 16.4.2024

Der Iran hat in der Nacht zum 14. April als Reak­ti­on auf den israe­li­schen Angriff auf sei­ne Bot­schaft in Damas­kus Anfang des Monats mehr als 300 Droh­nen und Rake­ten auf Isra­el abge­feu­ert. In sei­nem Kom­men­tar für FREILICH erklärt Hans-Tho­mas Till­schnei­der, dass der israe­li­sche Angriff aus meh­re­ren Grün­den nur als „Pro­vo­ka­ti­ons­fal­le“ ver­stan­den wer­den kann.

Als Isra­el am 1. April die­ses Jah­res ein Neben­ge­bäu­de der ira­ni­schen Bot­schaft in Damas­kus bom­bar­dier­te, weil es dort eini­ge ira­ni­sche Gene­rä­le ver­mu­te­te, war das Schwei­gen des Wes­tens unüber­hör­bar. Kein Wört­chen der Ver­ur­tei­lung war aus dem offi­zi­el­len Ber­lin, Paris, Lon­don, Rom oder Washing­ton zu ver­neh­men. Zwar wur­de die Inte­gri­tät des sou­ve­rä­nen Natio­nal­staa­tes Syri­en ver­letzt, wur­de auf syri­schem Boden die diplo­ma­ti­sche Ver­tre­tung eines ande­ren sou­ve­rä­nen Natio­nal­staa­tes ange­grif­fen, wur­den ohne Pro­zess Per­so­nen liqui­diert, weil sie nach Anga­ben, die nie­mand über­prü­fen kann, an dem Ter­ror­an­griff der Hamas aus Isra­el am 7. Okto­ber 2023 mit­ge­wirkt haben sol­len, aber all das schien nicht beson­ders tadelnswert.

Woll­te man auf­zäh­len, was hier alles an Völ­ker- und Men­schen­recht und sons­ti­gen Rech­ten ver­letzt wur­de, wür­de man so schnell nicht fer­tig. Von all den­je­ni­gen, denen das Völ­ker­recht hei­lig ist, wenn es um die Ukrai­ne geht, war jedoch nichts zu ver­neh­men. Obwohl offen­kun­dig ist, dass Isra­el den Angriff ver­übt hat, hat Isra­el selbst den Angriff nicht bestä­tigt, aller­dings auch nicht abge­strit­ten. Allein die­ses eigen­tüm­li­che Offen­las­sen sagt schon sehr viel: Offi­zi­ell will man den Stein des Ansto­ßes nicht gewor­fen haben, weil es nichts gibt, was man einen Pres­se­spre­cher sagen las­sen könn­te, um einen sol­chen Akt zu rechtfertigen.

Ein Tabubruch in Nahost

Aber abstrei­ten will man auch nicht, und man hat das Gan­ze auch nicht als ver­deck­te Ope­ra­ti­on durch­ge­führt. Täu­schung ist nicht das Ziel. Der Iran weiß und soll schon wis­sen, wer die­sen Schlag geführt hat. Nur offi­zi­ell bekennt man sich nicht dazu. Die ande­re Sei­te soll kei­ne Kriegs­er­klä­rung haben, an der sie sich fest­hal­ten und auf die sie sich beru­fen kann. Unter den inof­fi­zi­el­len Stim­men, die das israe­li­sche Vor­ge­hen ver­tei­di­gen, war zu ver­neh­men, es habe sich bei dem Angriffs­ziel nicht um die Bot­schaft selbst, son­dern ein kon­su­la­ri­sches Neben­ge­bäu­de gehan­delt. Wer vom Angriff auf die Bot­schaft spre­che, ver­brei­te des­halb „Fake-News“. Inwie­fern die­ser Hin­weis ernst oder iro­nisch gemeint sein soll, lässt sich nicht fest­stel­len. Sicher ist nur: Die­ses unge­nier­te Schaf­fen von offi­zi­ell her­ren­lo­sen Tat­sa­chen, geklei­det in Wol­ken aus inof­fi­zi­el­lem dum­mem Geschwätz, ist wohl die maxi­ma­le Pro­vo­ka­ti­on. Doch wes­halb jetzt die­ser Schritt?

Man­gels offi­zi­el­ler Erklä­run­gen sind wir auf Mut­ma­ßun­gen ange­wie­sen. Es heißt, Isra­el dul­de kei­ne Aus­wei­tung der ira­nisch-syri­schen Bezie­hun­gen. Da Syri­en genau­so wie der Iran ein sou­ve­rä­ner Staat ist, hat Isra­el hier jedoch nichts zu dul­den. Die­se israe­li­sche Unduld­sam­keit aller­dings wird vom Wes­ten mit höchs­tem Lang­mut gedul­det, denn noch nie wur­de einer der meist inof­fi­zi­el­len israe­li­schen Angrif­fe auf Syri­en ver­ur­teilt. Genau­so wie die US-ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ba­sen in Ost­sy­ri­en noch nie von einem west­eu­ro­päi­schen Staats­ober­haupt ver­ur­teilt wor­den wären, obwohl sie gegen den Wil­len der syri­schen Regie­rung auf syri­schem Ter­ri­to­ri­um ganz klar völ­ker­rechts­wid­rig errich­tet wurden.

Schweigen im Westen

Wie dem nun sei. Der aktu­el­le Angriff jeden­falls ist allein mit der übli­chen Ein­däm­mung ira­ni­scher Akti­vi­tä­ten auf syri­schem Boden nicht zu erklä­ren. Den in dem ira­ni­schen Kon­su­lar­ge­bäu­de in Damas­kus Getö­te­ten wird – inof­fi­zi­ell ver­steht sich – vor­ge­wor­fen, am Ter­ror­an­griff der Hamas auf Isra­el am 7. Okto­ber 2023 betei­ligt gewe­sen zu sein. Die­se Behaup­tun­gen sind nichts als blo­ße Behaup­tun­gen, und außer­dem sind sie wenig plausibel.

Die mit Iran in Ver­bin­dung ste­hen­de His­bol­lah im Süd­li­ba­non hat all denen, die an Eska­la­ti­on inter­es­siert sind, ja gera­de nicht den Gefal­len getan, sich von dem plum­pen Ter­ror­akt der Hamas zu einem Mit­tun bewe­gen zu las­sen. Die schwe­len­de Aus­ein­an­der­set­zung an der israe­lisch-liba­ne­si­schen Gren­ze schwel­te auch nach dem 7. Okto­ber 2023 unbe­ein­druckt von den Ereig­nis­sen wei­ter, ohne dass es dort zu grö­ße­ren Angrif­fen der His­bol­lah gekom­men wäre, was nahe­legt, dass der Iran am Hamas-Angriff kei­ner­lei Akti­en hat­te. Er kann, wie in einem frü­he­ren Bei­trag von mir dar­ge­legt, auch kein Inter­es­se an einer Eska­la­ti­on haben; ist er doch in eine gro­ße rus­sisch-chi­ne­si­sche Ent­span­nungs­in­itia­ti­ve im Nahen Osten ein­ge­bun­den. Auch die übli­che anti-israe­li­sche Rhe­to­rik des Iran erfuhr nach dem 7. Okto­ber 2023 kei­ne Stei­ge­rung. Im Osten nichts Neu­es, könn­te man sagen.

Ange­sichts die­ser Hin­ter­grün­de kann der israe­li­sche Angriff auf den Gebäu­de­kom­plex der ira­ni­schen Bot­schaft in Damas­kus nur als Pro­vo­ka­ti­ons­fal­le ver­stan­den wer­den. Dul­det die ira­ni­sche Regie­rung die­sen Angriff ohne Reak­ti­on, weiß Isra­el, dass es ohne Fol­gen ira­ni­sche Bot­schafts­ge­bäu­de bom­bar­die­ren kann. Der Iran wür­de ris­kie­ren, dass Isra­el sich dem­nächst noch wei­ter vor­wagt. Reagiert er hin­ge­gen mili­tä­risch, droht eine Eska­la­ti­ons­spi­ra­le, die in einen Groß­kon­flikt müden könn­te, den der Iran nicht wol­len kann, und zwar schon allein des­halb, weil er ihn ver­lie­ren wür­de. Die jüngs­ten Rake­ten­an­grif­fe des Irans auf Isra­el sind deut­lich erkenn­bar der Ver­such, die­sem Dilem­ma zu ent­kom­men, also nicht taten­los zu blei­ben, aber auch nicht mit einer zu hef­ti­gen Reak­ti­on Isra­el schein­ba­re Legi­ti­ma­ti­on für einen Gegen-Gegen­schlag zu lie­fern. Der Mili­tär­ex­per­te Car­lo Masa­la hat in der Tages­schau im Prin­zip rich­tig dar­ge­legt, dass der Iran ganz bewusst maß­voll reagiert hat.

Ein kaum aufzulösendes Dilemma

Inter­es­san­ter­wei­se wur­de dies auch in der Main­stream­pres­se inso­fern reflek­tiert, als der ira­ni­sche Ver­gel­tungs­schlag zwar kri­ti­siert, aber nicht mit den schärfs­ten Ver­ur­tei­lun­gen bedacht wur­de, die übli­cher­wei­se in Anschlag gebracht wer­den, wenn der Wer­te­wes­ten im Voll­ge­fühl sei­ner mora­li­schen Über­le­gen­heit das angeb­li­che Fehl­ver­hal­ten eines nicht-west­li­chen Staa­tes kri­ti­siert. Was will man auch dage­gen sagen, wenn ein Land die Bom­bar­die­rung sei­ner Bot­schaft nicht ein­fach so auf sich beru­hen lässt?

Ent­schei­dend ist jetzt, wie Isra­el reagiert. Da die israe­li­sche Luft­ab­wehr die meis­ten ira­ni­schen Rake­ten und Droh­nen abge­fan­gen hat, bleibt nun bei­den Sei­ten die Mög­lich­keit, den Schlag­ab­tausch gesichts­wah­rend dar­auf beru­hen zu las­sen. Der Iran hat sich gewehrt, Isra­el hat sei­ne mili­tä­risch-tech­no­lo­gi­sche Über­le­gen­heit demons­triert. Der Iran hat schon erklärt, dass die Sache für ihn damit erle­digt ist. Soll­te Isra­el jetzt mit einem Gegen-Gegen­schlag ant­wor­ten, der den ira­ni­schen Gegen­schlag womög­lich noch über­bie­tet, gesteht es damit vor den Augen der Welt­öf­fent­lich­keit ein, kei­nen Frie­den zu wol­len. Hof­fen wir, dass dem nicht so ist.


Zur Per­son:

Dr. Hans-Tho­mas Till­schnei­der ist Islam­wis­sen­schaft­ler und sitzt seit 2016 für die AfD im Land­tag Sach­sen-Anhalt. Dort ist er der kul­tur­po­li­ti­sche Spre­cher der AfD-Frak­ti­on. Wäh­rend der Zwei­ten Inti­fa­da (2000–2005) stu­dier­te er in Damaskus.

https://www.freilich-magazin.com/welt/mit-zweierlei-mass-anmerkungen-zum-israel-iran-konflikt

16.4.2024