1. Juli 2025

Westbindung ist keine Alternative

Es gibt eine Art Dumm­heit, die einen hohen Erkennt­nis­wert hat, weil sie jede Heu­che­lei sogleich zur Kennt­lich­keit ent­stellt. Eine wah­re Offen­ba­rung die­ser Art hat uns Tim „Schram­mi“ Schramm beschert, als er am 28. Juni auf X Fol­gen­des ver­öf­fent­lich­te: „Ohne West­bin­dung kei­ne Macht­op­ti­on in Deutsch­land. Eigent­lich recht einfach.“

Tim Schramm ist jenes AfD-Mit­glied, das weni­ge Mona­te als Söld­ner­dar­stel­ler in der Ukrai­ne nach eige­nem Bekun­den vor allem damit zuge­bracht hat, Tik­tok-Vide­os zu schau­en und ein Hör­buch zu hören.

Pro­pa­gan­da für die NATO-Struktur

An der Aus­sa­ge auf X ist zu begrü­ßen, dass er klar­stellt, wor­um es bei der Akti­on eigent­lich ging. Nicht um die Ukrai­ne, son­dern um die West­bin­dung. Also um die Zuge­hö­rig­keit zu einer NATO, die nach Aus­kunft ihres ers­ten Gene­ral­se­kre­tärs gegrün­det wur­de, um die Ame­ri­ka­ner in Euro­pa zu hal­ten, die Rus­sen drau­ßen und die Deut­schen unten. Genau dafür wird auch heu­te in der Ukrai­ne gekämpft. Gut, dass das geklärt ist.

Tim Schramm ist also nicht der nai­ve deut­sche Natio­na­list, den das Schick­sal der ukrai­ni­schen Natio­na­lis­ten so tief berührt hat, dass er in einer Anwand­lung von – wie soll man es nen­nen? – inter­na­tio­na­ler Soli­da­ri­tät zur Kalasch­ni­kow gegrif­fen hat. Nein, hier ist jemand am Werk, der für die West­bin­dung und die NATO-Struk­tur (Ame­ri­ka­ner drin­nen, Rus­sen drau­ßen, Deut­schen unten) Pro­pa­gan­da macht.

Die Aus­sa­ge „Ohne West­bin­dung kei­ne Macht­op­ti­on in Deutsch­land“ aber offen­bart in ihrer tie­fen Dumm­heit noch mehr. Sie for­dert, die AfD müs­se sich zur West­bin­dung beken­nen, um eine Macht­op­ti­on zu erlan­gen und irgend­wann regie­ren zu kön­nen oder bes­ser gesagt: zu dür­fen. Ohne die­ses Bekennt­nis wird uns die­se Opti­on nicht eröff­net, so die Impli­ka­ti­on der Aus­sa­ge, weil die­je­ni­gen, die die West­bin­dung ein­for­dern, ver­hin­dern wer­den, dass die AfD an die Regie­rung kommt, soll­te sie sich vor­her nicht dazu bekennen.

Kön­nen wir nicht selbst entscheiden?

Wer aber for­dert das? Wer hat die Regel „Ohne West­bin­dung kei­ne Macht­op­ti­on“, die wir nach Schramms Wil­len end­lich akzep­tie­ren sol­len, über­haupt gesetzt? Nun, wohl nie­mand ande­res als die West­mäch­te und ihr Alt­par­tei­en­gefol­ge selbst. „Ohne West­bin­dung kei­ne Macht­op­ti­on“ sagt: Die West­mäch­te ach­ten dar­auf, dass in Deutsch­land nie­mand regiert, der die West­bin­dung auch nur in Rich­tung Neu­tra­li­tät hinterfragt.

Das setzt wie­der­um vor­aus, dass die West­mäch­te Deutsch­land zumin­dest noch so weit kon­trol­lie­ren, dass sie – mit wel­chen Mit­teln auch immer – dafür sor­gen kön­nen, dass nie­mand an die Regie­rung gelangt, der sich nicht zu ihnen bekennt.

Genau das wie­der­um aber wäre die Beschrei­bung unse­rer feh­len­den Sou­ve­rä­ni­tät. Im Grun­de hat Schramm selbst mit sei­ner Aus­sa­ge das bes­te Argu­ment gegen die West­bin­dung gelie­fert. Sou­ve­rän sein hie­ße doch, dass wir frei und selbst­be­stimmt nach Inter­es­sen­la­ge über Ost­bin­dung, West­bin­dung oder Neu­tra­li­tät ent­schei­den könn­ten. Indem Schramm die West­bin­dung als alter­na­tiv­los für eine Macht­op­ti­on dar­stellt, bekennt er sich zu einem nicht sou­ve­rä­nen Deutsch­land und will dar­an auch nichts ändern, son­dern ruft – im Gegen­teil – zur umstands­lo­sen Akzep­tanz die­ses Umstan­des auf.

Akt ech­ter Souveränität

Ech­te Sou­ve­rä­ni­tät dage­gen wür­de sich dar­in zei­gen, dass wir gegen das uns auf­ok­troy­ier­te Gebot der West­bin­dung ver­sto­ßen. Ein Bekennt­nis zu einem guten Ver­hält­nis mit Russ­land wäre gera­de, weil die West­mäch­te uns das ver­bie­ten wol­len, ein Akt ech­ter Sou­ve­rä­ni­tät. Wer sich dem Ver­dikt der West­bin­dung fügt, gibt sich auf. Wer dage­gen rebel­liert, behaup­tet sich selbst. Dazu, sich der West­bin­dung zu ver­schrei­ben, gehört kein Mut. Sol­ches Ver­hal­ten wird von den Alt­par­tei­en und ihren Medi­en ger­ne gese­hen. Ein Kampf­ein­satz in der Ukrai­ne, erst recht ein halb­her­zi­ger, unter­schei­det sich kaum vom Gra­tis­mut des Kampfs gegen rechts.

Mut bräuch­te es, woll­te man sich in die­sen Zei­ten als Söld­ner auf der ande­ren Sei­te enga­gie­ren. Die Ver­haf­tung wäre einem bei der Rück­kehr wohl sicher, wäh­rend Tim Schramm in aller Ruhe die media­le Ver­mark­tung sei­ner Insze­nie­rung betrei­ben kann.

Sich in die­sen Zei­ten nur poli­tisch und ohne Waf­fe in der Hand für einen NATO-Aus­tritt Deutsch­lands und ein gutes Ver­hält­nis zu Russ­land zu enga­gie­ren, erfor­dert mehr Mut als ein Kampf­ein­satz in der Ukrai­ne. Und genau des­halb habe ich auf einer Demons­tra­ti­on vor zwei Jah­ren eine Russ­land­fah­ne geschwenkt und wür­de das jeder­zeit wie­der tun. Weil eine Russ­land­fah­ne zu schwen­ken in der aktu­el­len Lage, in der uns die West­mäch­te ein gutes Ver­hält­nis zu Russ­land ver­bie­ten wol­len, um uns klein zu hal­ten, ein Akt der Sou­ve­rä­ni­tät ist.

Wer aber außer den Begrif­fen „Boo­mer“ und „Rus­sen­s­tus­ser“ kei­ne Argu­men­te kennt, wird Schwie­rig­kei­ten haben, die­sen Zusam­men­hang zu verstehen.

Und was wäre das auch für eine Macht­op­ti­on der AfD, wenn sie durch Hin­nah­me der West­bin­dung erkauft wür­de? Was ist eine Macht wert, die man dadurch erlangt, dass man sich einem frem­den Dik­tat unterwirft?

West­bin­dung gewinnt kei­ne Wahlen…

Ganz offen­sicht­lich wäre es zumin­dest kei­ne Macht, sich auch für eine ande­re Bin­dung zu ent­schei­den. Es wäre also zunächst ein­mal das Ein­ge­ständ­nis einer Macht­lo­sig­keit. Es wäre eine Macht, Minis­ter und Staats­se­kre­tä­re zu ernen­nen, die sich aber ihren Hand­lungs­ra­di­us zumin­dest in geo­po­li­ti­schen Fra­gen und sicher auch in so manch ande­ren Fra­gen von den West­mäch­ten anwei­sen las­sen. Es wäre eine ganz küm­mer­li­che Vasal­len­macht. Das ist nichts ande­res als die Macht der Altparteien.

Seit Anbe­ginn tobt ein Streit in der AfD, ob es sich loh­ne, die­sen Weg zu gehen. Es schien zeit­wei­se, als sei die­ser Streit ent­schie­den und als wären wir uns einig, auf die Macht der Macht­lo­sig­keit zu ver­zich­ten, weil es kein rich­ti­ges Leben im fal­schen und kei­ne Alter­na­ti­ve im Etablierten.

Jetzt bricht an der Ukrai­ne-Fra­ge die­ser Streit wie­der auf. Was aber Hoff­nung macht: Dass die­je­ni­gen, die sich am bereit­wil­ligs­ten zei­gen, sich dem Dik­tat der West­bin­dung zu unter­wer­fen, auf­grund nied­ri­ger Wahl­er­geb­nis­se am wei­tes­ten von einer Macht­op­ti­on ent­fernt sind, wäh­rend bei den­je­ni­gen, die ver­stan­den haben, was Sou­ve­rä­ni­tät bedeu­tet, die Wahl­er­geb­nis­se so aus­se­hen, dass die Macht­op­ti­on auch ohne Bekennt­nis zur West­bin­dung in greif­ba­rer Nähe liegt.

https://www.compact-online.de/westbindung-ist-keine-alternative/

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