Des feigen Jägers scheues Reh
Es gibt politische Debatten, die haben etwas von Ritualen. Wer glaubt, die Sache sei ausdiskutiert, sobald alle Argumente ausgetauscht sind, irrt sich. Ein Stichwort genügt, und es geht wieder los. Wie Ebbe und Flut kommt und geht die Debatte. Dazu gehört auch das Folgende. Hat doch ein gewisser Frank Christian Hansel mir tatsächlich in einem kurzen Beitrag auf seiner Homepage nichts weniger vorgeworfen als, ich sei ein politischer Depp, weil ich einen Kurs befürworte, der die Wähler verschrecke. Nachzulesen ist das Ganze hier:
http://frank-hansel.de/antwort-auf-die-frage-von-hans-thomas-tillschneider-patriotische-plattform-was-ist-schlimmer-merkel-oder-einer-der-neger-sagt
Die Argumentation von Frank-Christian Hansel, die in dem Bild vom Wähler als scheuem Reh gipfelt, erinnert mich stark an Lucke, der im Wahlkampf 2013 genau damit verhindert hat, den Islam zum Wahlkampfthema zu machen, „sonst kommen wir vielleicht nicht in den Bundestag, weil die Presse uns dann als fremdenfeindlich darstellt und das die Wähler verschreckt“. Das genaue Gegenteil hat sich als richtig erwiesen: Wir sind 2013 n i c h t in den Bundestag eingezogen, weil wir den Islam damalas n i c h t zum Thema gemacht haben. Hätten wir das schon damals getan, wir wären sicher nicht unter 5% geblieben. Die Sache mit dem scheuen Reh ist übrigens die Abwandlung des Karl Marx zugeschriebenen Sprichworts „Das Kapital ist ein scheues Reh“, das seitdem mehrfach herhalten mußte, um den steuerlichen Unterbietungswettbewerb und die Lohnabwärtsspirale im Zeichen eines globalen Wettbewerbs zu rechtfertigen. Es sind dann interessanterweise doch immer die gleichen, die irgendwo scheue Rehe wittern.
Der Wähler jedenfalls ist garantiert kein scheues Reh. Ich würde ihn eher mit einem trägen Stier vergleichen wollen, in dem sich die Wut staut und der nur auf das richtige Signal wartet, um loszustürzen. Es muß freilich ein kräftiges Signal sein, wie etwa Trump es in den USA gegeben hat, dem die Hansels dieser Welt übrigens auch vorhergesagt haben, er werde die US-Wahlen nicht gewinnen, er verschrecke zu viele Wähler, z.B. die Frauen und die Hispanics. Im Ende hat er genug Wähler mobilisiert, um zum US-Präsidenten gewählt zu werden. Weshalb? Weil seine rebellische, provokante Art politisch attraktiv ist.
Und genau darauf kommt es an. Mut und Provokation sind attraktiv. Mut und Provokation mobilisieren. Die AfD ist nicht da, wo sie ist, weil wir so schön leise treten und niemanden verschreckt haben, sondern weil wir uns in Essen von Lucke getrennt haben und seitdem verdammt viel Staub aufwirbeln. Wer Leute gewinnen will, muß Leute verprellen. Wer es allen recht machen will, macht es im Ende niemandem recht. Wir sind da, wo wir sind, weil wir diffamiert werden, was das Zeug hält. Vereinzelt bemerkt das auch die Presse. Sie werfen sich selbst vor, sie hätte uns durch eine skandalisierende Berichterstattung erst groß gemacht und experimentieren nun mit sachlicheren Tonlagen.
Sollen sie! Für uns eine Win-win-Situation, denn wir können nicht nur Provokation, wir haben auch sachlich etwas zu bieten. Darauf sollten wir freilich immer achten: Daß die Provokation nicht sinnlos ist, sondern sich in ihr ein sachlicher Kern verbirgt. Daß sie notwendig ist. Der schlichte Satz „Deutschland den Deutschen“ ist dafür ein Musterbeispiel. Er spricht so einfach wie möglich eine Wahrheit aus, die man in diesem Staat gerne aus dem Bewußtsein getilgt hätte. In diesem Zusammenhang verweise ich nur auf die Analyse der Begründung des Karlsruher NPD-Urteils durch Thor von Waldstein. https://antaios.de/buecher-anderer-verlage/institut-fuer-staatspolitik/wissenschaftliche-reihe/48959/wer-schuetzt-die-verfassung-vor-karlsruhe
Freilich ist nicht immer jede Provokation sachlich notwendig in diesem Sinn; sicher ist nicht immer jede Provokation hilfreich. Sie schadet aber auch nicht. Wer den Wähler zum scheuen Reh erklärt, der verkauft damit nur seine eigene Sehnsucht nach Anerkennung durch das Establishment, seinen Opportunismus und seine Anpassungsbereitschaft als taktische Klugheit. Wer so handelt, den würde ich nun nicht gerade als „Deppen“ bezeichnen, aber besonders intelligent ist es auch nicht.