Германия должна стать нейтральной – Deutschland muß neutral werden!
Ein Artikel im Rahmen meiner Kolumne für die russische Zeitung Wedemosti.
Es ist im Interesse unseres Landes, sich an der russischen Nahostpolitik zu orientieren.
Der Krieg im Gaza-Streifen hat sich auf die Straßen Deutschlands ausgebreitet. In den letzten Wochen gab es Hunderte von pro-palästinensischen Demonstrationen, einige mit mehr als 10.000 Teilnehmern. Ihnen stehen öffentliche Kundgebungen zugunsten Israels gegenüber, wenn auch in viel kleinerem Rahmen. Einige schwenken palästinensische Fahnen und fordern die Zerstörung Israels. Andere schwenken israelische Transparente und fordern, den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen – in einen großen Parkplatz zu verwandeln. Wenn die Kontrahenten aufeinander treffen, kommt es zu einem Handgemenge. Die Polizei arbeitet mit maximaler Kapazität.
An den pro-palästinensischen Demonstrationen nehmen fast ausschließlich Araber teil – Ausländer oder solche, die in den letzten Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben. In den 1970er und 1990er Jahren wurde der palästinensische Unabhängigkeitskampf in Deutschland von linken Antiimperialisten einheimischer Herkunft unterstützt, doch heute ist ihr Anteil an der Bewegung recht gering. Die aktuellen Ausschreitungen auf den Straßen und Märkten in Deutschland sind eine Folge der unkontrollierten Masseneinwanderung der letzten Jahrzehnte. Wir Deutschen haben ausländische Konflikte importiert.
Es gibt mehr Deutsche auf Pro-Israel-Demonstrationen, aber man kann nicht sagen, dass es ihnen allen speziell um das Schicksal des jüdischen Staates geht. Bei diesen Aufmärschen gibt es zum Beispiel rechte Politiker, die ihre Solidarität mit Israel nutzen wollen, um der massenhaften islamischen Einwanderung in die BRD ein Ende zu setzen.
Andererseits haben die meisten jüdischen Verbände in Deutschland in den letzten Jahren die Einwanderung auch aus islamischen Ländern unterstützt, weil sie an die Idee einer multikulturellen Gesellschaft glauben. Jetzt kritisieren sie die importierte Feindseligkeit gegenüber Israel, sind aber nicht bereit, mit der Idee der Masseneinwanderung zu brechen. Jetzt schlagen sie vor, dass eine Person, die die Staatsbürgerschaft beantragt, sich zu Israel bekennen sollen – als ob das helfen würde.
Das ist alles politisches Gezänk und ein Kampf der Lobbygruppen. Die große Mehrheit der Deutschen ergreift im palästinensisch-israelischen Krieg keine Partei, und das ist klug. Denn Deutschland hat überhaupt kein Interesse daran, sich für eines von zwei Dingen zu entscheiden. Wir haben historisch gute Beziehungen zur arabischen Welt, die für Deutschland als Rohstofflieferant von bleibender Bedeutung ist. Aber wir sind auch an guten Beziehungen zu Israel interessiert, das als hochentwickeltes Land und Atommacht eine Schlüsselrolle im Nahen Osten spielt. Russland beispielsweise befindet sich in einer ähnlichen Situation: auf der einen Seite eine starke Zusammenarbeit mit dem Iran und Syrien, auf der anderen Seite enge Beziehungen zu Israel, schon allein wegen der großen Gemeinschaft russischsprachiger Aussiedler in diesem Land.
Der Konflikt in Gaza als solcher liegt also weder im Interesse Deutschlands noch Russlands. Wir wollen nicht, dass eine Seite die andere besiegt. Und im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten sind wir nicht daran interessiert, dass der Konflikt weiter schwelt; wir wollen einen dauerhaften Frieden. Die beste Rolle für unsere beiden Nationen ist die eines neutralen Vermittlers, der sich auf diplomatischem Wege um Frieden bemüht. Doch während Russland diese Rolle sicher übernehmen kann, steht die deutsche Regierung unter starkem Druck. Die Straße der Migranten auf der einen, Israel und die USA auf der anderen Seite – jeder zieht die Behörden der BRD auf seine Seite.
Einer der Druckpunkte für die Deutschen ist das alte Holocaust-Argument: Da Hitlers Regime den Völkermord an den Juden organisierte, muss Deutschland nun Israel ohne Wenn und Aber unterstützen. Diesem Argument haben sich die deutschen Bundeskanzler immer wieder hingegeben. Im Jahr 2008 machte Angela Merkel in der Knesset eine aufsehenerregende Aussage: Israels Sicherheit sei “Deutsche Staatsräson”. Streng genommen bedeutet diese Formulierung, dass Israels Sicherheit für Deutschland genauso wichtig ist wie ihre eigene. Folgt man dieser Logik, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Deutschland nun gegen die Hamas in den Krieg ziehen sollte. Doch das wird nicht geschehen. Und das nicht nur, weil die deutsche Armee dem israelischen Militär in seinen kämpferischen Qualitäten nicht ebenbürtig ist. Die deutsche Regierung ist generell zurückhaltend, wenn es darum geht, ihre Sprüche zur Unterstützung Israels in konkrete Taten umzusetzen.
So erwarteten die Vereinigten Staaten und Israel Ende Oktober, dass Deutschland gegen eine UN-Resolution stimmen würde, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderte. Das Dokument wurde unter anderem von Russland und der Türkei vorgeschlagen und enthielt eine sehr ausgewogene und neutrale Sprache. Die Tatsache, dass die Resolution mit einer Mehrheit von 120 Stimmen bei 14 Gegenstimmen angenommen wurde, zeigt, welche Haltung die Welt in dieser Frage einnimmt. Allerdings enthielten sich 45 Länder der Stimme, darunter auch Deutschland.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei der erklärten bedingungslosen Unterstützung Deutschlands für Israel um Rhetorik handelt. Und dafür sollten die Behörden nicht kritisiert werden. Im Gegenteil, es ist ein Hinweis darauf, dass die derzeitige deutsche Regierung noch nicht den letzten Rest von gesundem Menschenverstand verloren hat und versucht, die Interessen ihres Landes zu verfolgen. Von echter Neutralität ist man freilich noch weit entfernt. Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit – sie bedeutet, dass für alle Konfliktparteien der gleiche Maßstab der Fairness gilt. Ein wirklich neutrales Deutschland würde keine übermäßige israelische Brutalität tolerieren oder den Terror der Hamas verurteilen, ohne die vielen palästinensischen Opfer unter der Zivilbevölkerung zu erwähnen. Ein wirklich neutrales Deutschland würde für eine UN-Resolution stimmen, die den zivilen Opfern auf beiden Seiten das gleiche Gewicht einräumt.
Kurz gesagt, ein wirklich neutrales Deutschland würde im Nahen Osten die gleiche Politik verfolgen wie Russland. An diesem Punkt sind wir noch nicht angelangt. Noch sind wir es nicht.
16.11.2023