17. Juli 2024

Todesfalle Anerkennung – Wovor sich die AfD in Acht nehmen muss

Kom­men­tar für das Frei­lich-Maga­zin vom 17.7.2024

Anfang der 2000er-Jah­re war die Lin­ke in Deutsch­land erfolg­reich, sie gewann an Macht und wur­de von den Alt­par­tei­en aner­kannt. In sei­nem Kom­men­tar für FREILICH warnt Hans-Tho­mas Till­schnei­der die AfD genau vor die­ser Aner­ken­nung und ver­weist auf den Nie­der­gang der Lin­ken als mah­nen­des Beispiel.

Woll­te man die Geschich­te des Nie­der­gangs der Lin­ken erzäh­len, müss­te man mit Geschich­ten der Aner­ken­nung begin­nen. 2001 etwa, als die PDS in Ber­lin in die Regie­rung kam und Gysi Wirt­schafts­se­na­tor wur­de. Die Tole­rie­rung einer SPD-Min­der­heits­re­gie­rung in Sach­sen-Anhalt hat­te der bun­des­deut­schen Öffent­lich­keit da schon drei Jah­re Zeit gelas­sen, sich an eine indi­rek­te Regie­rungs­be­tei­li­gung der PDS zu gewöh­nen. 2001 errang die PDS auch ihre ers­ten Land­rats­pos­ten, einen in Sach­sen-Anhalt und zwei in Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Man könn­te aus die­ser Zeit Geschich­ten erzäh­len von Kom­mu­nal­po­li­ti­kern, die PDS-Räte in Pos­ten wähl­ten, PDS-Anträ­gen zustimm­ten und sich über halb­her­zi­ge Abgren­zungs­be­schlüs­se hinwegsetzten.

Man könn­te nach­zeich­nen, wie die Pres­se in jener Zeit zwar immer noch mit eini­ger Reser­ve, aber doch schon deut­lich ver­nehm­bar die PDS nicht mehr nur in Bausch und Bogen ver­damm­te, son­dern gemisch­te Töne anschlug. An die Stel­le der Het­ze trat eine zwar gei­zi­ge und zöger­li­che, aber doch eine Aner­ken­nung, die es ver­stand, Inter­es­se zu wecken. Der eine wur­de als Rea­lo gelobt, der ande­re als Fun­di zurück­ge­wie­sen und die frü­he­ren pau­scha­len Ver­ur­tei­lun­gen gab man in selbst­kri­ti­scher Pose als Irr­weg aus. Man müs­se end­lich aner­ken­nen, dass die PDS eta­bliert sei. Es gebe ja ver­schie­de­ne Strö­mun­gen in der Par­tei. Man kom­me an ihr nicht vor­bei usw. usf.

Die Tücke der dif­fe­ren­zier­ten Betrachtung

Die­ser dif­fe­ren­zier­te Blick ist viel­leicht der böses­te von allen. Er heu­chelt Gerech­tig­keit, ist aber in Wahr­heit nichts ande­res als der Ver­such einer Steue­rung von außen. Bes­ser wäre es, sol­che Beob­ach­ter wür­den nichts mit einem zu tun haben wol­len. Ihre Her­ab­las­sung mani­pu­liert und zer­setzt. Als Köder dient die in Aus­sicht gestell­te Zuge­hö­rig­keit zum Clan der Macht­ha­ber. Nach sol­chen Maß­stä­ben wer­den Urtei­le gefällt, die wegen ihrer schein­ba­ren Aus­ge­wo­gen­heit umso schwe­rer wie­gen. Und das Gift wirkt.

Zeit­gleich mit der größ­ten Macht­ent­fal­tung und der begin­nen­den Aner­ken­nung durch die Alt­par­tei­en erschie­nen in der PDS Poli­ti­ker des Typs „Kat­ja Kip­ping“: Für PDS-Ver­hält­nis­se ver­däch­tig pro­fes­sio­nell agi(ti)erende, nicht sel­ten attrak­ti­ve Jung­po­li­ti­ke­rin­nen, die ange­tre­ten sind auf­zu­räu­men mit der alt­lin­ken Kri­tik am Finanz­ka­pi­tal, mit stö­ren­den Tra­di­tio­nen, mit dem DDR-Mief, mit ver­krus­te­ten Moral­vor­stel­lun­gen, mit lin­kem Natio­nal­ge­fühl, mit tra­di­tio­nel­len Geschlech­ter­rol­len, mit Hete­ro­nor­ma­ti­vi­tät und Nor­ma­li­tät über­haupt, mit Lan­des­gren­zen und eini­gem mehr, was den Glo­ba­lis­ten seit jeher ein Dorn im Auge ist.

Die inne­re Kapi­tu­la­ti­on und der Anfang vom Ende

Um die­se Zeit her­um soll Klaus Lede­rer die kata­stro­pha­le Teil­pri­va­ti­sie­rung der Ber­li­ner Was­ser­wer­ke, die den Inves­to­ren Rie­sen­ge­win­ne, der Stadt Ber­lin Haus­halts­lö­cher und den Bür­gern spru­deln­de Preis­stei­ge­run­gen bescher­te, als „pro­gres­si­ve Ent­staat­li­chung“ gerecht­fer­tigt haben. Die „Jugend­bri­ga­den“, wie sie par­tei­in­tern ver­nied­licht wur­den, obwohl zu Ver­nied­li­chung nicht der gerings­te Anlass bestand, sam­mel­ten sich in der soge­nann­ten „Eman­zi­pa­to­ri­schen Lin­ken“ und grif­fen an. 2003 gelang es ihnen, im Grund­satz­pro­gramm den Grund­be­griff der Eman­zi­pa­ti­on zu ver­an­kern. Die Regen­bo­gen­agen­da war ihr Pro­gramm. Damit war das Pro­gramm der PDS unterhöhlt.

2003 beginnt aller­spä­tes­tens die Geschich­te des Nie­der­gangs. Die Leit­me­di­en spen­de­ten viel Lob für das moder­ne, eben eman­zi­pa­to­ri­sche Pro­gramm. Doch gera­de des­halb fühl­ten auch die Bür­ger, die kei­ne Pro­gram­me lesen, die aber umso bes­ser zwi­schen den Zei­len zu lesen ver­ste­hen, dass die­se Par­tei nicht mehr ihre Par­tei ist, son­dern nun auch zu jenem Kar­tell gehört, das eine inter­na­tio­na­le Agen­da von oben nach unten gegen die Bür­ger durch­setzt. Und so wand­ten sich die Bür­ger ab.

Die äußer­li­che Akzep­tanz und die inne­re Schwäche

In all die­sen äuße­ren Tri­um­phen, die­sen for­ma­len Mehr­heits­be­schaf­fun­gen und schein­ba­ren Macht­über­nah­men der Jahr­tau­send­wen­de keim­te schon die inne­re Kapi­tu­la­ti­on. Denn all die­se äuße­ren Tri­um­phe, die­se for­ma­len Mehr­heits­be­schaf­fun­gen und schein­ba­ren Macht­über­nah­men leb­ten davon, dass die PDS von den Alt­par­tei­en akzep­tiert wur­de. Die PDS gewann weni­ger Macht, als sie unter Ein­fluss geriet, und zwar umso mehr, als die Aner­ken­nung nur wie eine vor­läu­fi­ge, von künf­ti­gem Wohl­ver­hal­ten abhän­gi­ge Gna­den­ga­be ver­ab­reicht wur­de. Auch wenn man kei­ne schlech­te Absicht unter­stel­len will, so bringt ein sol­ches Han­deln doch unter den Erwar­tungs­druck der Alt­par­tei­en. Und jeder Druck wirkt auf die Atmosphäre.

Die Bür­ger merk­ten, dass die­se Par­tei den Spieß umdreh­te und nicht mehr den Alt­par­tei­en den Marsch blies, son­dern nun umge­kehrt den Bür­gern erklär­te, wie sie zu leben hat­ten, womit sie sich abzu­fin­den hat­ten und womit sie sich gefäl­ligst hin­weg­trös­ten soll­ten über ihr ärm­li­ches Rent­ner­le­ben in Ost­ber­lin, etwa mit Schwu­len­rech­ten und einer präch­ti­gen Love­pa­ra­de. Die Fusi­on mit der WASG 2007 gab der sie­chen­den Par­tei noch ein­mal eine Infu­si­on an authen­ti­schem Bür­ger­wil­len und den neu­en Namen „Die Lin­ke“, doch die­ser Ver­trau­ens­vor­schuss war schnel­ler ver­braucht als das Ver­trau­en; die­se Par­tei wer­de irgend­wie die Ver­hält­nis­se der klei­nen Leu­te bes­sern. Seit­dem geht es berg­ab, in Sach­sen-Anhalt zum Bei­spiel von 23,7 Pro­zent (2011) über 16,4 Pro­zent (2016) und elf Pro­zent (2021) bis hin zu küm­mer­li­chen 4,8 Pro­zent bei der Euro­pa­wahl 2024. Woan­ders sieht es nicht anders aus. Begon­nen hat es mit der Aner­ken­nung durch die Altparteien.

Der Fall Thü­rin­gen und die Leh­re für die AfD

Thü­rin­gen ist kein Gegen­bei­spiel, im Gegen­teil. Außer Regen­bo­gen­fah­nen vor der Staats­kanz­lei, die auch woan­ders wehen, außer Ver­sor­gungs­pos­ten für Par­tei­netz­wer­ke und außer dem schla­gen­den Beweis, dass die Poli­tik der Lin­ken kaum etwas von CDU, SPD, Grü­ne oder FDP unter­schei­det, hat die Regie­rung Rame­low nichts erbracht. In Thü­rin­gen ist die Par­tei des Minis­ter­prä­si­den­ten nach neu­es­ten Umfra­gen bei etwas über zehn Pro­zent gera­de mal noch viert­stärks­te Kraft. Rame­low ist einer ihrer pro­mi­nen­tes­ten Toten­grä­ber. Wer Wider­stand gegen die Klima‑, die Migrations‑, die Ukrai­ne- und die Regen­bo­gen­agen­da will, wählt AfD; wer noch in der Alt­par­tei­en­ma­trix lebt, der geht zurück zu den älte­ren Alt­par­tei­en. Die­ses Schick­sal sei der AfD gera­de nach den Erfol­gen bei den Kom­mu­nal­wah­len im Osten am 9. Juni eine Mah­nung. Der größ­te Feh­ler, den eine ech­te Oppo­si­ti­ons­kraft in der gegen­wär­ti­gen Kon­stel­la­ti­on bege­hen kann, ist, die Aner­ken­nung durch die Alt­par­tei­en als erstre­bens­wert anzusehen.

Die Regen­bo­gen­agen­da war die mit der inter­na­tio­na­len Agen­da der Glo­ba­lis­ten kom­pa­ti­ble Gestalt lin­ker Poli­tik. Der Deal „Tra­di­ti­ons­ver­nich­tung statt Mas­sen­wohl­stand“ war die Per­ver­si­on, also die Ver­keh­rung lin­ker Poli­tik, über deren Annah­me die Lin­ke ins Alt­par­tei­en­sys­tem ein­ge­passt wer­den konn­te. Aber auch für die AfD haben die Glo­ba­lis­ten einen sol­chen Deal bereit. „Natio­na­le Folk­lo­re statt ech­ter Sou­ve­rä­ni­tät“ könn­te man ihn über­schrei­ben. Die mit der Glo­ba­lis­ten­agen­da kom­pa­ti­ble Gestalt rech­ter Poli­tik besteht in einer Mix­tur aus fol­gen­den Ingre­di­en­zen: ober­fläch­li­che Kri­tik am Gen­dern, NATO-Treue, wohl­stands­ver­nich­ten­de Libe­ra­li­sie­rung, Pseu­do­sou­ve­rä­ni­tät (= die Frei­heit, sich den USA zu unter­wer­fen) und schließ­lich eine Form der Kri­tik an Migra­ti­on, die das Pro­blem nicht löst, son­dern über eine Stei­ge­rung der Span­nung in den Bür­ger­krieg führt. Das ist das Pla­ce­bo für die Rech­ten, das ist die Per­ver­si­on rech­ter Poli­tik, die der AfD als Brü­cke ins Sys­tem der Alt­par­tei­en gebo­ten wird. Das Schick­sal der AfD wird sich dar­an ent­schei­den, ob sie sich als immun gegen die­ses ver­gif­te­te Ange­bot erweist.

Die Gefahr der Aner­ken­nung durch die Altparteien

Kaum eine grö­ße­re Idio­tie ist denk­bar als die Hal­tung des­je­ni­gen AfD­lers, der ein­mal einen Antrag in irgend­ei­nem Gemein­de­rat, Kreis­tag oder Land­tag durch­be­kom­men hat, weil die­ser Antrag so sub­stanz­los war, dass er auch von einer Alt­par­tei hät­te stam­men kön­nen, wes­halb die Alt­par­tei­en ja auch schmerz­frei zustim­men konn­ten. Und der des­halb jetzt sei­ne Anträ­ge in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam nur noch auf sol­che Aner­ken­nung berech­net und alles Anecken­de, alles Grund­sätz­li­che ent­fernt. Jede Ein­bin­dung, die von der Aner­ken­nung der Alt­par­tei­en abhängt, ist kein poli­ti­scher Erfolg, son­dern ein ris­kan­tes Spiel. Hori­zon­ta­le Ver­ban­de­lun­gen auf dem Par­kett der Gre­mi­en und Ver­tre­tun­gen hem­men die AfD in ihrer ver­ti­ka­len Aus­rich­tung auf die Bür­ger. Das Sys­tem unse­res Han­delns besteht nicht aus Bezie­hun­gen zu Alt­par­tei­en, son­dern zu den Bür­gern, und das heißt zu Ver­ei­nen, Initia­ti­ven und allen Akti­vi­tä­ten, die mit den Alt­par­tei­en gebro­chen haben. Ein­fa­cher gesagt: Es wäh­len uns am Ende nicht die Kol­le­gen von den Alt­par­tei­en, son­dern die Bür­ger. Wir tun also gut dar­an, nicht den Kol­le­gen von den Alt­par­tei­en gefal­len zu wol­len, son­dern den Bürgern.

Schon jetzt wer­den Stim­men laut, die AfD sei eine Alt­par­tei wie die ande­ren auch. Das ist die Begleit­mu­sik des Abstiegs. Der Weg der Aner­ken­nung durch die Alt­par­tei­en ist ein Weg ins Nichts. Die Aner­ken­nung durch die Alt­par­tei­en kann eine ech­te Oppo­si­ti­ons­par­tei ver­nich­ten, zunächst pro­gram­ma­tisch, dann auch in der Exis­tenz. Es kommt des­halb nicht dar­auf an, in die Logik der Aner­ken­nung hin­ein­zu­fin­den; es kommt dar­auf an, aus ihr auszubrechen.

Zur Per­son:

Dr. Hans-Tho­mas Till­schnei­der ist Islam­wis­sen­schaft­ler und sitzt seit 2016 für die AfD im Land­tag Sach­sen-Anhalt. Dort ist er der kul­tur­po­li­ti­sche Spre­cher der AfD-Fraktion.

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17.7.2024